Robby saß auf der Bank und raufte sich mit einem verzweifelten Gesichtsausdruck die Haare. „Was mache ich nur mit dir?“, fragte er so hoffnungslos, dass Andrea und ich losprusteten. Scheinbar empört sprang er auf. „Was seit ihr bloß für alberne Gänse!“, echoffierte er sich und pickste mich in die Seite, sodass ich noch mehr lachen musste. Schließlich holte ich tief Luft und versuchte wieder ernst zu werden. „Manchmal hat man eben nicht das Glück, auf Anhieb etwas passendes zu finden“, gab die mittlerweile auch wieder ernst gewordene Andrea zu bedenken. Robby zuckte nur mürrisch mit den Schultern. Seine Laune war immer schlechter geworden, umso länger unsere Pferdesuche dauerte. Es war aber auch sehr anstrengend gewesen, und trotz Robbys Kontakte zu verschiedenen Pferdeverkäufern hatten wir immer noch nicht „mein“ Pferd gefunden. Es hatte viele mehr oder weniger große Enttäuschungen gegeben, hin und wieder auch die Hoffnung, dass endlich das passende Pferd in Sicht war, aber jetzt, eine Woche nachdem wir angefangen hatten, zu suchen, waren alle Hoffnungen zerstört. Vielleicht war ich einfach zu wählerisch; aber mal ehrlich; wenn ich nicht sicher war, ob ich ein Pferd haben wollte, dann war es doch nicht richtig. Ich hatte mir das immer so schön kitisch-romantisch vorgestellt, wie es wäre, mein erstes eigenes Pferd zu bekommen. Der Kleine-Mädchen-Traum schlechthin, und meiner natürlich auch, seit ich von Pferden das erste mal gehört hatte. In meinen Träumen als keines Kind war es natürlich immer ein großer, kräftiger Rappe mit wallender Mähne gewesen, auf dem ich ohne Sattel und Zaumzeug frei wie der Wind über die Wiesen meiner Fantasie galoppiert war. Mittlerweile wusste ich, dass diese Rappen Friesen waren, und mein Traumpferd hatte sich in ein sportliches Warmblut verwandelt. Aber welches?
Ich ging auf einer blumenübersähten Wiese, die Sonne schien angenehm warm von einem wolkenlosen, blauen Himmel und die Vögel zwitscherten um die Wette. Lächelnd ging ich auf die verschwommene Gestalt einige Meter von mir entfernt zu. Ich konnte sie nicht genau erkennen, und kniff die Augen zusammen. Aber die Sonne blendete mich, und ich konnte nichts erkennen. Dennoch wusste ich, dass sie mein Freund war. Eine unglaubliche, bedingungslose Liebe und grenzenloses Vertrauen strömte von ihr zu mir und zog mich ihn ihren Bann. Ich fühlte unbändiges Glück in mir und lachte vor Freude, so wundervoll war dieses Gefühl. Doch als ich näher kam, verblassten auf einmal die Farben immer mehr; die Sonne schien plötzlich nicht mehr so hell zu sein, und obwohl ich vorwärts ging, rückte ich immer weiter von der Gestalt, die mein Glück bedeutete, weg. Und mit der Gestalt, die ich bald kaum noch sehen konnte, gingen auch die schönen Gefühle, und Leere trat an ihre Stelle. Plötzlich war es kalt geworden, und die Kälte drang durch mich hindruch bis zu meinem Herzen, umklammerte es mit langen, scharfen Krallen und presste es zusammen. Mir blieb die Luft weg, mein Herz wehrte sich schmerzhaft gegen den festen Blick, und ich versuchte krampfhaft, einzuatmen. Es gelang mir nicht, und mir wurde schwarz vor Augen. Die Gestalt war schon lange aus meinem Sichtfeld verschwunden, und ich fühlte nur noch diese schreckliche Kälte, die Schmerzen und Angst. Lähmende, Kraft zehrende Angst.
Schweißgebadet und schwer atmend wachte ich in dieser Nacht auf. Schon wieder dieser scheußliche Alptraum! Ich setzte mich in meinem Bett auf und knipste rasch das Licht an. Mein Herz raste, und ich atmtete tief ein und aus, um mich zu beruhigen. Doch es dauerte eine ganz schöne Weile, bis ich die schrecklichen Gefühle abschütteln konnte, die mich auch im wachen Zustand noch begleiteten. Vorsichtig klappte ich die Bettdecke zurück und stellte meine Füße auf den kühlen Boden. Ein kalter Windhauch kam durch das geöffnete Fenster hinein und ich fröstete. Hatte ich es nicht zugemacht? Über meine eigene Vergesslichkeit den Kopf schüttelnd tapste ich durchs Zimmer und schaute raus auf die Straße. Die Laternen verbreiteten ein gespenstiges Licht in der Stille der Nacht, und ich fröstelte abermals; Gänsehaut überzog meinen gesamten Körper. Rasch schloss ich das Fenster und eilte zum Bett zurück. Ich knipste das Licht aus und zog die Decke bis zum Kinn, dann schloss ich die Augen und versuchte, wieder einzuschlafen.
Verzweifeltes Wiehern ließ mich hochschrecken. Orientierungslos blickte ich mich um, und sah im flackernden Licht Rauchschwaden, die durch das geöffnete Fenster in mein Schlafzimmer zogen. Erschreckt sprang ich auf. Es war doch geschlossen gewesen? Wieder erklang das Wiehern, so verzweifelt und durchdringend, dass ich nicht anders konnte, als zum Fenster zu rennen. Mir wurde klar, was das flackernde Licht, welches mir ermöglichte, in der Nacht etwas zu erkennen, bedeutete. Feuer! Ich sah es ganz deutlich, konnte aber nicht erkennen, wo es war. Panik erfasste mich, als das schrille Wiehern ein drittes Mal erklang. Für mich gab es kein Halten mehr. Mein Verstand war ausgeschaltet, instinktiv rannte ich zur Tür und verließ meine Wohnung. So schnell ich konnte, rannte ich die verlassene Straße entlang, auf das Feuer zu. Wo kam es her? Und warum hatte ich es als einzige bemerkt? Ich rannte und rannte. Es kam mir vor, als würde mein Weg nie enden, als würde ich das Feuer niemals erreichen. Und auf keinen Fall rechtzeitig, um das Pferd, dass offensichtlich im Feuer gefangen war, zu befreien. Die Straße ging in eine Landstraße über, dann führte sie in den Wald und schließlich lief ich auf weichem, federnden Waldboden. Ich rannte so schnell ich konnte. Äste und Blätter schlugen mir ins Gesicht und zerkratzen meine Haute. Meine Haare blieben daran hängen und ich spürte die Schmerzen an der Kopfhaut, als mir einige Büschel ausgerissen wurden. Blindlings rannte ich weiter, stolperte, und hastete weiter, immer weiter, auf das flackernde, orangerote Licht zu. Der Rauch wurde dichter, meine Augen tränten und ich musste husten. Dann, endlich, war ich am Ziel. Das Wiehern, was mich gelockt hatte, war schon lange erstickt, erstickt von den Flammen und dem Rauch, die den Stall in ein loderndes Inferno verwandelt hatten. Tränen sammelten sich in meinen Augen und ließen das flackernde Feuer verschwimmen. Ich war zu spät gekommen. Die Pferde waren verloren, ich konnte nichts mehr für sie tun. Im Feuer verbrannt. Mein Herz pochte schmerzhaft, als ich an das tragische Schicksal der armen Tiere dachte. An ihr Leiden und ihre Verweifelung, vom Feuer und den stabilen Boxen gefangen zu sein. Nichts tun zu können, als ihr Ende, ihr qualvolles Ende, abzuwarten. Es war grauenvoll. Zitternd brach ich zusammen, schlug die Hände vor mein Gesicht, um die Tränen aufzuhalten. Haltlos fing ich an zu schluchzen. Mein Herz blutete. Warum hat niemand die Pferde vor ihrem Schicksal gerettet? Was ist passiert, warum mussten sie so sterben? So ungerecht. Das hatten sie nicht verdient, so etwas hatte niemand verdient! Die armen, unschuldigen Pferde, mit ihren reinen Seelen, der Güte in ihren Herzen und dem Temperament im Körper. Diese edlen, engelsgleichen Geschöpfte. Warum?
Langsam versiegte der Strom von Tränen, und ich war ganz heiser vom Schluchzen. Als ich schließlich nur noch leise wimmerte, viel es mir plötzlich auf. Die Stille. Unheimliche Grabesstille hatte sich über den Unglücksort gesenkt. Es war zu still. Ich blickte auf, und erschrak zu tiefst, als ich sah, dass der Stall komplett niedergebrannt war, dass Feuer war aus und es rauchte nicht mal mehr, obwohl es eben noch lichterloh gebrannt hatte. Die Hitze des Feuer, der Rauch, alles war schlagartig weg, als wäre viel Zeit vergangen. Innerlich erstarrt vor Schreck und Trauer ging ich langsam und mechanisch wie ein Roborter, wie ferngesteuert, auf die Überreste des Stalles zu. Ich fröstelte wieder, es war schrecklich kalt geworden. Mit einem Ast stocherte ich in den verkohlten Überresten der Holzbalken. Nichts. Kein glimmen, kein Funke, gar nichts. Der Stall war kalt, die Asche grau geworden, als wäre das Unglück schon ewig lange her. Wieder überfiel mich schreckliche, lähmende Angst. Mein Herz schlug wie wild, und die scharfen Krallen waren plötzlich wieder zurück. Sie drückten mein Herz, sodass es immer weniger dagegen ankam. Mit aufgerissenen Augen schnappte ich nach Luft, meine Hand schoss an meine Brust, versuchte, mein Herz in seinem aussichtslosen Kampf gegen die Klauen der Angst zu helfen, aber vergebens. Es wurde schwarz vor meinen Augen, und mein Herz wagte noch einen letzten, verzweifelten Versuch, dann stand es still, und ich driftete ab in die Finsternis.
Tsubasa-Stables Forum
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30.09.2013 23:19
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