Habe gerade ein bisschen viel um die Ohren mit Pferd, Schule, Arbeit (muss ja meine Stute mitfinanzieren) und so weiter...
Aber eigentlich geht es mir super und ich bin richtig glücklich. Diesen Sommer haben wir mit dem Einreiten begonnen und wir haben nach 4 Monaten Suche einen Sattel gefunden der mir und meiner Stute passt! :D Ich schon zwar, dass wir nur so 2-3 pro Woche für vielleicht 30 Minuten reiten (mehrheitlich im Schritt), aber das ist wirklich toll. Klar kann sie noch nicht viel - muss sie ja aber auch nicht. Ich will nicht innerhalb einem Jahr ein super ausgebildetes Pferd, dass schon was ich weiss kann, sondern wir machen uns Schritt für Schritt auf den Weg. Auch so werden wir ans Ziel kommen. ;) Und am Boden arbeiten wir nun viel ganz Frei und 'Kunststückchen'. Im Stall habe ich schon den Übernamen Bodenturnerin bekommen, weil ich so viel BA mache, aber es macht mir und meiner Stute so viel Spass!
Und hier noch der 3. Teil und mein 'goldener' Bericht. Ich hätte nie gedacht, dass ich ganze 50 Berichte schreiben werde!!
Nr. 50 - Tür zur Freiheit (Teil 3)
Beschwingt öffnete ich das Heft und blätterte bis zum Eintrag:
03.03.2012, 8:03 Ich habe den Unfall überlebt!!!
Ich starte auf die weisse Seite darunter. Egal, kümmere dich nicht mehr um den doofen Satz, Lucy. Gleich, wirst du den Beweis in den Händen halten, das Nataly tot ist. Vielleicht war sie noch ein paar Minuten länger am Leben als gedacht, aber sie ist tot und das steht klar. Also kannst du dann alles endlich vergessen. Leichten Herzes drehte ich die Seite um. Das Heft viel mir aus den Händen. Ich zitterte, ich hatte das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen, ich wollte schreien, doch meine Kehle zwar zugeschnürt.
Die Seiten waren beschrieben!
Ich hörte Schritte die Treppe rauf kommen, doch ich nahm das nur am Rande war. Ich sah das Heft vor mir liegen. Als ich die vertraute Handschrift auf den nächsten Seiten sah, fühlte sich das an als wäre Gift in meinen Körper gekommen. Ich zitterte, mein atme ging schnell. Es klopfte an der Tür. Ich merkte noch, wie die Tür langsam aufging. Ich sah Tobias an. Mein Herz raste und das zittern nahm zu. Ich starte das Heft am Boden an und glaubte, die Welt würde gleich zerspringen. Tobias war sich ziemlich sicher gewesen, dass Lucy das Tagebuch lesen würde, sobald sie oben ist und so hatte er ihr deshalb etwas Vorsprung gegeben. Er hat mit einer weinenden Lucy gerechnet, aber nicht einer dermassen bleichen und verstörten. Er sah ein Heft am Boden und als er es sorgfältig umdrehte, sah er, dass es das Tagebuch war. Was steht darin, das Lucy so verstört?, fragt er sich. Letzten Wochen war sie nicht mehr sich selbst gewesen, irgendwas hatte sie verändert... Heute bei der Aktion mit Navajo war sie wieder so gewesen wie er sie kannte: lebendig und für die Gerechtigkeit kämpfend. Tobias setzte sich neben mich. „Alles okay?“ Ich starrte ihn mit grossen ängstlichen Augen an. Schüttelte den Kopf. Und dann kamen sie, die Tränen. Tobias legte den Arm um meine Schulter und drückte mir ein Taschentuch in die Hand. Es verging Minute um Minute, in der ich versuchte zu erfassen, was das alles bedeutete. Das Tagebuch meiner Mutter geht weiter, meine Mutter... Ich konnte den Gedanken nicht zu Ende denken. Es war so was von verrückt! Moms Asche war in London begraben!! Ich war dabei gewesen...! Tobias sah mich von der Seite an. „Was ist los?“ Ich blickte ihn an. Tobias war da und half mir. Er war da wie damals Tirina, als ich sie abgelehnt hatte. Nun hatte ich sie verloren. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen. Ich wollt ihn nicht auch noch verlieren. „Sie...“ ich brach wieder ab und versuchte es erneut, „Sie lebt.“ flüsterte ich. „Wer lebt?“ „Du hast doch gesagt, wenn das Tagebuch weiter geht, dann habe ich meine Antwort.“ Er nickte. „Es geht weiter...“ Tobias sah mich verständnislos an. Erst da viel mir ein, dass ich ihm ja nicht gesagt habe, worum es geht. Das er nur wusste, dass da ein letzter verwirrender Satz im Tagebuch war. Ich blickte durch das Fenster. Unmöglich erschien mir alles. „Mom.“ Tobias sah mich an. „Jetzt komm ich nicht mehr mit Lucy, wen meinst du jetzt genau? Angelika? Oder Nataly? Bei beiden bringt es keinen Sinn.“ Ich atmete tief durch. „Nataly.“ Es dauerte einige Sekunden, ehe er sich mit der Hand durchs Haar fuhr und mich ungläubig ansah. „Bist du ganz sicher? Weshalb...?“ „Der Satz, von dem ich dir erzählt habe,..“ Begann ich leise. „Da stand: Ich habe den Unfall überlebt!!!“ ergänzte ich zögerlich. Und obwohl ich das alles nicht wirklich realisierte und immer noch ganz eingefroren war, mein Herz raste und meine Hände zitterten, tönte meine Stimme ganz fest. „Ich habe den Satz gelesen vor einer Ewigkeit. Es kann einfach nicht real sein, verdammt... Und ich habe darüber gegrübelt, ob es sein kann oder nicht. Aber ich wollte nicht erzählen. Mom hat mir mein Leben schon genug verdreht, da darf sie nicht noch meine Familie belasten.“ „Seit wann weißt du das?“ „Seit ich damals Transporter mit dem Kopf an den Tisch geknallt bin.“ Tobias sah mich an. Er legte seinen Arm um mich. „Das ist ja schon Wochen her! Du hättest doch zu mir kommen können.“ „Aber ich habe mich ja selber für verrückt gehalten... Es geht doch nicht. Mom ist Tot. Ich war dabei. Ihre Asche ist in London...“ Ich machte eine Pause. „Ich musst einen Weg finden um diese Wahnvorstellung zu vertreiben. Und heute hast du gefragt, was auf der nächsten Seite steht. Da hatte ich endlich die Lösung. Ich war mir so sicher, dass die leer ist... Sein musste.“ Eine Minute verging, eine zweite. Tobias blickte mich erwartungsvoll an. Mein Herz pochte, mein Hals fühlte sich auf einmal ganz trocken an. „Aber...“ begann ich „Aber sie ist... ist nicht leer...“ Und nun kamen die Tränen wieder zurück, eine um die andere. Ich legte meine Stirn auf Tobias Schulter, er drückte mich an sich. Ich hörte wie Tobias murmelte „Shit“ und mich noch etwas mehr an sich drückte. Langsam Minute um Minute begann mein Verstand zu verstehen. Mom, Nataly Miller, Nataly Davids, Colins Tochter, Dads Ex-Frau, Cates Mutter, die Grossmutter meiner Zwillinge, Benjamins Stiefgrossmutter,... sie überlebt den 3. März 2012! Ich hob mein Kopf von Tobias Schulter und sah das Tagebuch am Boden. Colin hatte erzählt, dass sie schon bei meiner Geburt – respektive unserer Geburt – gesagt hat, dass wenn ihr jemals was passieren sollte, ich die Tagebücher bekommen sollte. Die Briefe hat sie dann geschrieben, als sie nach London zurückkam. Mom wollte, dass ich das Heft las. Mom... Warum zum Teufel hatte ich nicht daran gedacht? Mom war in dem Bus gewesen und sie hatte das Tagebuch – wie immer – dabei. Wie zum Teufel sollte es in die Wohnung in die Kartonkiste gekommen sein, wenn sie nicht mehr lebt? Der Bus war völlig ausgebrannt gewesen, die Personen hat man nur noch über die Identitätskarte, die sie auf sich trugen erkannt. Wie hätte da ein Tagebuch so unbeschädigt bleiben sollen? Ein kalter Schauer lief mir den Rücken runter? Ich begann zu schwitzen. Hilfe! In welchem bösen Film befand ich mich hier? Mom musst das Heft zurück gebracht haben und absichtlich untergetaucht sein. War am Ende das ganze Busunglück geplant gewesen? Ich hielt in meiner Bewegung inne. Was würde mich erwarten, wenn ich das Heft öffne und die weiteren Seiten las? Wollte ich das? Konnte ich das? Die Schlinge um meinen Hals wurde enger. Ich habe das alles nicht gewollt. Ich habe nicht danach gesucht, was Mom passiert ist. Verdammt! Und ich hätte gedacht, mein Leben mit den Twins, Dad, Cate, Angelika, Benjamin, Colin, dem Gestüt und so weiter sei kompliziert gewesen, aber jetzt wünschte ich mir dieses ‚einfach und glückliche’ Leben zurück. Ich wollte einfach wieder unbeschwert leben. Jedes Mal wenn, ich dachte, dass die Tür endlich aufgeht und ich wieder draussen an der Sonne bin, führt sie mich nur noch tiefer in das ganze dunkle Schlamassel hinein. Ich spürte Tobias Arm auf meiner Schulter. Auch wenn er nur die Hälfte verstand, wusste ich zumindest, dass er da war. Das ich auf ihn zählen konnte... Ich schloss die Augen. Genau das was Tirina mir auch anbot, aber ich mehrmals ablehnte. Ich hatte sie so lange von mir gestossen, bis sie gegangen ist... Bevor ich das Heft lesen würde, musste ich mich bei Tirina entschuldigen gehen! Ich wischte mit die Tränen von den Augen. „Tobias?“ „Ja.“ „Ich muss noch schnell rüber in den Stall. Kommst du mit?“ „Äh ja. Aber warum?“ Ich schluckte. „Ich weiss nicht was mich im Tagebuch erwartet. Die Pferde geben mir immer das Gefühl, dass alles noch ganz normal ist, dass mindestens etwas auf der Welt noch genau so ist, wie von ein paar Minuten.“ „Okay. Also komm.“ Er stand auf und gab mir die Hand. Ich bückte mich um, noch schnell das Heft vom Boden auf zu nehmen, und legte es in eine kleine Tasche, die ich dann mitnahm.
Das Haus war schon dunkel, aber unten im Wohnzimmer brannte noch Licht. Angelika war noch wach. Sie sah uns beide verwirrt an. „Ich dachte ihr seid schon lange im Bett! Wo wollt ihr hin?“ „Noch kurz in den Stall.“ Meinte ich schnell und wollte vorbei laufen. Angelika sah mich nachdenklich an. „Um diese Zeit? Zu Tirina?“ Ich nickte. Angelika atmete durch. „Tim war gestern bei ihr, Lucy.“ Ich blickte sie erschrocken an. „Dad?“ „Ja, er ging sie sich gestern schnell anschauen, du weisst schon wegen den Verletzungen. Er kam zurück und hat mir gesagt, dass sie nicht reagiert. “ Ich blickte sie an. Hatte ich Angelika richtig verstanden? Da Tobias neben uns stand, konnten wir nicht offen sprechen. Angelika hatte schon lange gesagt, dass ich Tirina langsam wieder trainieren kann. Aber im letzten Monat hatten wir uns nichts mehr zu sagen und deshalb habe ich nichts gemacht. Was wollte sie damit? Meinte sie Dad war dort und hat versucht mit Tiri zu sprechen? Und Tiri hat aber nicht geantwortet? „Sie hat also bei nichts positiv geantwortet?“ fragte ich. Ich betonte das Wort antworten. „Sie hat keinerlei Anzeichen gemacht. Sie stand da und zeigte keine Reaktionen.“ Meinte Angelika. Ich nickte. Ich war mir sicher. Dad war und sie hat nicht reagiert. Obwohl wir uns nichts mehr sagten, hat sie Dad nichts weiter gesagt, weil sie wohl spürte, dass ich das nicht wollte. War das ein gutes Zeichen? Bestand Hoffnung, dass wir irgendwann wieder auch nur halbwegs so ein gutes Team werden können, wie wir einst waren? „Ich dachte, bloss es würde dich vielleicht interessieren, wenn du jetzt gleich zu ihr gehst.“ Meinte Angelika. „Aber kommt bald wieder, es ist schon spät.“ „Ja.“ Meinte ich zu ihr. „Tobias, ich gehe noch schnell in den Keller meine Stalljacke holen.“ Er nickte. Ich lief die Treppe runter. Ich hörte aber doch noch Angelika, die Tobias nochmals ins Wohnzimmer zurückrief. „Pass auf Lucy auf.“ „Ja, das werde ich.“ Ich hörte in Tobias Stimme seine Verwirrtheit, weshalb Angelika das erwähnte. „Danke.“ Dann hörte ich, wie Angelika, die Treppe hoch ging ins Schlafzimmer. Als wir auf den Hof einbogen, war er schon ganz dunkel. Ich sah Tobias an. „Ich würde gerne alleine gehen. Es hat nichts mit dir zu tun, aber... Ich weiss nicht, ob sie wollte, dass jemand anderes ihr Tagebuch auch liesst.“ In der Vergangenheit über Mom zu sprechen war mir schon so vertraut, dass es mir gar nicht auffiel, dass ich... Das ich vielleicht auch die Präsensform verwenden könnte. Vielleicht... Lange hatte ich mich nicht an den Tod meiner Mutter gewöhnen können und jetzt stand über allem ein Fragezeichen. Mom hat den 3. März überlebt. Aber lebt sie heute noch? Tobias holte mich aus dem grübeln: „Kann ich verstehen... Soll ich einfach bis zur Stallgasse mitkommen?“ „Nein bleib lieber hier.“ Tobias sah mich an. Seufzte „Okay.“ Ich stieg aus und lief über den verschneiten dunklen Hof hinüber zu den Paddockboxen. Ich betrat die Stallgasse. Madonnas Box kam zu erst und sie streckte den Kopf über die Tür. Normalerweise, macht das Tirina. Ich strich ihr über die Stirn knuddelte sie kurz und drückte mein Kopf an ihr Hals. Dann straffte ich meine Schultern und ging zu Tiris Box hinüber. Sie stand draussen. Ich ging in die Box und liess mich an der Wand herunter rutschen. Jetzt gab es nur noch eines: Warten.
Tirina?
Ich bekam keine Antwort, doch ich sah ihre Ohren, die sich von Draussen auf mich richtete. Ihr Hinterteil war aber immer noch mir zugedreht.
Ach Tiri... Es tut mir so leid. Du kannst das gar nicht glauben. Du wolltest bloss eine gute Freundin sein. Ich... Ich hätte dich nicht anlügen dürfen. Entschuldigung. Tirina es tut mir echt Leid. Ich wünsche mir das alles wäre nicht geschehen.
Ich war so versunken, dass ich nicht merkte, wie Tirina langsam durch den Eingang auf mich zukam.
Es hat alles mit dem doofen Tagebuch hier angefangen. Ich würde es am liebsten verbrennen, aber jetzt habe ich schon ein paar Seiten gelesen, jetzt muss ich es fertig lesen. Du warst da für mich, als ich dich gebraucht hatte. Aber weißt du warum, ich dich weggeschoben habe? Nicht weil ich dich nicht mag. Ich wollte nicht, dass Mom auch noch das Leben von dir zerstört... Sie hat schon meines – mehrfach.
Plötzlich spürte ich ihren Atem auf meiner Stirn. Ich blickte hoch und direkt in ihre schwarzen Augen. Ich strich ihr über die Nüstern. Ein Lächeln glitt über mein Gesicht. Sie pustete mich wieder an.
Ach Tirina meine kleines Mäuschen... Entschuldigung.
Ich weiss ja, dass du es gemacht hast, um mich zu schützen. Aber du hättest wissen sollen, dass ich deine Sorgen gerne mit dir getragen hätte...
In meinem Bauch kribbelte es. Tirina hatte mir geantwortet!
Heisst das du hast mir verziehen? Bist nicht mehr böse?
Ich war nie böse auf dich. Ich war höchstens enttäuscht, dass du meine Hilfe nicht annahmst...
Ich drückte sie an mich. Es war zum Verrückt werden. Sie war bloss ein Pferd – aber für mich war Tirina mehr. Für mich war sie meine Freundin, mit ihr konnte ich sogar über Dinge reden, die ich mit Tobias nicht spreche.
Willst du das Tagebuch nicht lesen?
Du weisst vom Tagebuch?
Lucy, nur weil du mir damals nicht geantwortet hast, heisst das nicht, dass ich nicht gemerkt habe. Du hast um Hilfe gerufen, weil dir der Satz 03.03.2012, 8:03 - Ich habe den Unfall überlebt!!! Im Kopf rumgespukt ist und dich verrückt gemacht hat.
Okay. Aber ich habe Angst davor?
Vor was?
Vor der Wahrheit.
Lucy, du bist nicht allein.
Nein, das bin ich nicht. Da hatte sie Recht. Tobias und Tirina waren da, egal was geschah. Ich hatte mein Sicherheitsnetz wieder hier. Ich griff in meine Tasche und nahm das Tagebuch heraus. Ich schlug es auf und ich sah mir den Eintrag nochmals an.
03.03.2012, 8:03 Ich habe den Unfall überlebt!!!
Ich atmete tief durch und blätterte um.
03.03.2012, 11:30 Wow, ich kann es immer noch nicht glauben, dass ich ihn überlebt habe. Plötzlich gab es einen Knall und überall waren Flammen. Erst konnte ich mich nicht befreien. Das Feuer kam immer näher und näher. Ich versuchte alles, und plötzlich schaffte ich es den Stuhl vor mir etwas anzuheben, mein Bein hervor zu ziehen. Den Rest weiss ich nicht mehr genau. Ich weiss nur noch das ich weg vom Feuer wollte ich rannte und rannte und rannte. Dann hörte ich einen riesigen Knall, ich duckte mich. Dann rannte ich weiter. Einfach weg vom Feuer. Irgendwann blieb ich nach Luft japsend stehen. Erst da realisierte ich was los war. War das ein gezielter Angriff gewesen von wem auch immer oder Zufall? Ich zog mein Handy hervor und rief die Zentrale an, die mich dann abholte. Nun sitze ich da. Hier in der Zentrale. Gerade eben haben sie mir gesagt, dass der Bus explodiert war wegen dem Benzin und total ausgebrannt. Die Nachricht macht schon die Runde. Personen unidentifizierbar. Ich hatte nun also die Wahl... Ein Wink des Schicksals? „Wenn du nicht wieder aufwachst, dann habe ich keine Familie mehr... Nicht einmal mehr eine Mutter“..... „Nicht einmal mehr eine Mutter“ hörte ich Lucys Stimme. Sollte ich zurückkehren? Würde aber bedeuten, dass ich es ihr irgendwann sagen muss, in 1,2 oder auch 20 Jahren. Konnte ich damit leben, wenn sie mich voller Hass ansah? Aber das wichtiges war, wenn ich den Mut nicht schnell genug finden würde es ihr zu gestehen und Colin vor mir etwas passieren würde, wird sie es nie erfahren. Sie wird ohne Familie dastehen – zumindest Anfangs, vielleicht würde sie irgendwie doch noch vom Gestüt erfahren... Doch das war. Nein, ich wollte nicht das Risiko nicht eingehen. Mein Vater ist nicht mehr der älteste und schnell kann ein Autounfall passieren und mir kann noch viel eher etwas passieren. Auch wenn ich mir jetzt vornehmen würde, es ihr gleich zu sagen – das ging nicht. Hatte ich schon im Spital versucht und war daran gescheitert. Lucy musste ihre Familie finden, solange sie noch Colin an ihrer Seite hat!
Sie ist also doch aus dem Bus raus gekommen. Aber in welcher Zentrale war sie? Von was sprach sie das?
04.03.2012 Ich bin tot, komisch oder? Also zumindest in den Zeitungen hat niemand das Busunglück überlebt... Wie es Lucy und meinem Vater wohl geht? Manchmal frage ich mich, ob es keine Kurzschlusshandlung war gestern, aber nun kann ich nichts mehr ändern. Bis gestern 12:00 haben sie mir die Frist gesetzt.
Völlig verwirrt sah ich den Eintrag an. Wer hat ihr eine Frist gesetzt? Meine Wut auf sie wuchs mit jeder Sekunde. Trauer und Liebe ersetzte ich mit Hass und Wut. Sie sitzt so völlig entspannt da, während ich an dem Tag nur geweint habe und keine Sekunde wirklich mitbekommen habe, was um mich herum geschah. ICH HASS DICH, MOM!
05.03.2012 Ich werde am 7. Zu meinem neuen Arbeitsort aufbrechen. Ich darf nichts Persönliches mitnehmen, auch das hier nicht! Ich habe aber darum gebeten, dass ich mein noch in die Wohnung zurückbringen darf und mindestens irgendeinen für andere bedeutungslosen Gegenstand zu holen. Das haben sie mir erlaubt. Morgen ist es soweit.
Sie war nochmals in der Wohnung?!!
06.03.2012 Ich weiss nicht wie es die Zentral arrangiert hat, aber gleich werde ich in meiner Wohnung stehen. Amber nahm mich kurz vor ich zur Wohnung aufbrach zur Seite: „Du machst das doch nur wegen deiner Tochter?“ „Warum weißt du das?“ „Als was arbeiten wir?“ Ich nickte. „Hör zu, eigentlich dürfte ich es nicht, aber: Lege in irgendein wichtiges Ding von dir gut versteck, ein Zettel rein auf dem der Name deiner Tochter steht. Schreib, dass, wenn dir etwas passieren sollte, deine Tochter doch Amber Milford kontaktieren soll und nach Madison Owen Fragen soll – Madison sei ein sehr gute Freundin von dir.“
So, Lucy, da ich – was Amber natürlich nicht weiss – die Seiten in meinem Tagebuch über den Tot von Nataly Miller hinaus führe und somit hier drin Sachen erwähne, die nicht in mit dem Leben als Kind, als Ehefrau Nataly Davids und später mit dir hier als wieder Nataly Miller passiert sind, schreibe ich das hier nicht auf einen separaten Zettel, der ich so bloss für den Fall, dass mir etwas passieren könnte, irgendwo hin lege. Amber weiss auch nicht, dass ich beschlossen habe, schon als ich mit dir schwanger war, dir meine Tagebücher zu hinterlassen, falls mir etwas geschieht. Diese falls, war damals wirklich nur ein falls. Damals wusste ich noch nichts von meinem jetzigen Job, den ich erst seit wir wieder zurück sind ausübe. Seit da arbeite ich für die Zentrale, mittlerweile wurde ich schon drei mal befördert: nach dem ersten Jahr, also du ins Internat gingst und jetzt.
Lucy, ich bitte dich wirklich diese Amber Milford (56 Xandor Drive, London / 333-33-45-22-1) zu kontaktieren und nach Madison Owen zu fragen. BITTE! Alles ab dem 3. März weißt du natürlich nicht. Merk dir dies ganz gut, denn es könnte mich - und vielleicht auch dich - in sehr grosse, lebensbedrohliche Schwierigkeiten führen. Ich denke nicht, dass die Zentrale unsere Wohnung durchsucht und ausgerechnet das Buch hier findet – das Risiko wäre zu gross für sie gesehen zu werden. Aber sollte die Zentral diese Zeilen doch lesen, so bitte ich euch beim Urteil zu bedenken, dass ich es für meine Tochter tue, aus Liebe zu ihr, und, dass hier keine elementare Informationen stehen.
So liebe Lucy, jetzt werde ich das Tagebuch gleich zu den andern in die Schachtel legen. Und dann werde ich nur noch hoffen können, dass wir uns eines Tages vielleicht doch irgendwie wiedersehen. Ich hoffe es. So gerne würde ich Catherine und dich vereint sehen: Meine beiden kleinen Engel. Du glaubst nicht, wie sehr ich mir das wünsche. Bis dahin werde ich mich in meinen neuen Job stürzen, ich arbeite gerne für die Zentrale, sie haben immer spannende Aufträge für mich!
Lucinda, du bist stärker als ich und bist schon immer eingestanden für das, was du richtig empfindest. Kämpf weiter und bleib wie du bist, mein kleiner Engel! Umarme Catherine von mir.
Lebe wohl, Lucy! alles Liebe, Mom
Mein Herz pochte. Schnell blätterte ich um. Nein, dies war wirklich der letzte Eintrag. Meine Wut im Bauch wuchs. Wenn Mom uns so gerne vereint gesehen hätte, warum hatte sie uns dann nicht zurück zu Dad gebracht, mir von ihm erzählt. Sie hätte ihn ja nicht sehen müssen. Es hätte bestimmt eine Lösung gegeben. Besonders als ich ehe im Internat war, da hätte ich doch während dieser Zeit auch einfach bei Dad wohnen können! Wütend warf ich das Heft ins Stroh. Verdammt Schweisswelt! Ihr könnt mich alle mal!
Lucy, ich bin bei dir.
Ich blickte Tirina an, die immer noch vor mir stand. Augenblicklich wurde ich ruhiger.
Ich weiss.
Tiri schnaubte.
Tobias steht an der Boxentür.
Ich drehte mich um. Sah direkt in sein Gesicht.
„Entschuldigung“, stammelte er. „Ich wollte nicht. Ich dachte nur, weil du so lange nicht mehr gekommen bist.“ Ich nickte. „Schon okay.“ Murrte ich. Er sah mich fragend an. „Es tut mir echt leid.“ „Ich bin nicht auf dich wütend, sondern auf SIE. Irgendwie sie alle Engländer Schweine.“ „Hey, stopp Lucy. Colin ist ganz okay.“ „Ja... Na gut fast alle. Aber ER ist ein Drecksschwein und Mom auch.“ Tobias sah mich an. „ER ist es, aber weshalb deine Mutter? Ich habe dich noch nie so über sie reden hören.“ „Liess das Heft, dann weißt du es.“ „Soll ich wirklich?“ „Ja.“ „Wo soll ich beginnen?“ „Am besten vorne, der Eintrag vom 3. März ist etwa in der Mitte, aber dann verstehst du alles besser.“ Tobias setzte sich und begann zu lesen. Sein Gesicht verriet mir alles. Als er fertig war, gab er mir das Heft stumm zurück und umarmte mich. „Es tut mir Leid, Lucy.“ Ich nickte. Tirina stellte sich ganz nah zu mir. Alle waren sie da, meine Freunde und ich fühlte mich gerade nicht mehr so alleine auf dieser Welt – auch wenn es eine Scheisswelt ist.
Der nächste Morgen brach an. Ich weiss ehrlich gesagt, nicht mehr genau wie wir nach Hause gekommen sind. Doch mit den ersten Sonnenstrahlen kamen die Erinnerungen zurück: Mom. Die Wut in meinem Bauch wuchs. Wie konnte sie nur so egoistisch sein? Mein Leben mehrfach dermassen zu zerstören, nur weil sie zu feige war! Ich schlug die Bettdecke kraftvoll zurück. Dann ging ich hinüber zu meiner Tasche, nahm das Heft heraus und legte es zu den andern zurück. Mom konnte mir gestohlen bleiben – ob sie lebte oder nicht. Das hier war meine Welt. Meine Kinder brauchten mich, meine Pferde brauchte mich, Dad, Angelika und Cate brauchten mich... Aber sie! Sie war mir egal.
Alle sassen schon um den gedeckten Tisch herum als ich nach unten kam. „Morgen“ grummelte ich. „Du hast ja am Morgen früh schon eine schlechte Laune! Was ist dir denn über die Leber gelaufen.“ „Nichts“ Meinte ich. Und setzte mich. Dad und Angelika wechselten Blicke, doch sie ignorierten mich. „Tobias bleibst du noch oder willst du auf den Zug?“ fragte Angelika. Er sah mich fragend an, doch ich blickte bloss auf den Teller. Scheissessen, Scheisstag, Scheisswelt, Scheiss.... „Da ich eh schon da bin, bleibe ich gerne noch“, hörte ich ihn sagen. „Gut.“ Meinte Angelika. „Dann nehme ich an, dass ihr wohl gerne auf den Hof rüber wollt und Ausreiten gehen. Es hat tollen Pulverschnee gegeben, da sollten die Wege reitbar sein.“ Da ich mich angesprochen fühlte meinte ich: „Ja wäre eine Idee. Aber kann ich die Twins hier lassen?“ „Ja, klar.“ Ich meldete mich freiwillig zum Abräumen, weil ich da wusste, dass wenn ich etwas zu tun hatte, weniger grübeln würde. Tobias spielte mit Livianne, Melanie und Benjamin. „Ich schau mal schnell, wo Angelika hin ist.“ Meinte ich zu Tobias als ich fertig war und machte mich auf hinüber zum Gestüt, um Angelika suchen zu gehen, damit wir gehen konnten. Cate und Natascha kamen auf Carry Me und Impo entgegengeritten. Sie fragten mich, ob sie Richtung Hof reiten solle, damit Tobias und ich auch mit konnten, doch ich lehnte ab, da Tirina trotz allem nur Schritt gehen durfte. Ich sah in den Ställen nach, fand aber nur Max. Ich entschloss mich noch einen kurzen Besuch bei Navajo zu machen. Ihn hatte ich beinahe vergessen. Er zupfte Heu aus dem Netz. Ich begrüsste ihn und stellte mich für einige Minuten in die Box. Anfangs war er angespannt, doch mit der Zeit entspannte er sich. Ich entschloss mich später noch einmal vorbei zu kommen und mit ihm zu arbeiten. Der Hof war am Sonntag deutlich weniger belebt. Dads Pferde hatten auch ihren Pausen Tag, an dem sie nur Pferd sein durften und auf den grossen Weiden oder auf den grossen Paddocks ihr Leben geniessen. Dem entsprechen war auch nur Max da und ein Angestellter da, die sich um die Ställe kümmerten. Ich ging über den sonst mit Hufgeklapper gefühlten Hof hinüber zur grossen Scheune, in der oben Max Wohnung war und unten Dads Büro und der Aufenthaltsraum. Es brannte Licht, also war die Chance gross das ich Angelika dort antraf. Ich wollte den Raum betreten als ich Stimmen hörte. Es war nicht meine Art zu lauschen, aber in letzter Zeit hörte ich immer wieder bei Gespräche mit. „Ich mach mir sorgen wegen Lucy, Tim. Ich weiss, dass ich dir damit auf die Nerven gehe. Warum war sie zum Beispiel heute Morgen so wütend? Ich kenn sie einfach nicht mehr...“ Ich hörte wie Dad tief einatmete. „Angelika. Ich stimme dir ja zu, dass es irgendwas gibt, dass sie beschäftigt. Aber sie dazu zu zwingen, mit uns zu reden, bewirkt nichts.“ „Ich habe Tobias geholt und als sie zusammen gesprochen haben, wirkte sie besser gelaunt.“ „Schon...“ Dad machte eine Pause. „Damals im Spital, da habe ich auch nicht mehr an meinem Grundsatz Festgehalt und ich habe sie zur Rede gestellt. Alles was ich bewirkt habe, war dass sie sich noch mehr verschloss.“ „Und du willst einfach zuschauen?“ Angelika stimme war genervt. „Du weisst, dass ich das nicht mache. Wir müssen ihr die Chancen bieten und ich bin ja auch zu Tirina gegangen.“ „Aber sie hat dir auch nichts gesagt! Und jetzt Abwarten und Kaffeetrinken?!“ meinte Angelika wütend. „Nein. Warte noch eine Woche ab, vielleicht hat sich dann alles geklärt. Schau nur heute Morgen war sie richtig wütend – ich würde sagen das war ein riesen Fortschritt zu der unbeteiligten Lucy der vergangen Wochen.“ „Okay, Tim. Ich vertraue dir noch ein letztes Mal. Aber glaub mir, lange spiele ich dieses Spiel nicht mehr mit.“ „Danke.“ Meinte Dad. Und ich konnte mir vorstellen wie er sie umarmte. „Aber eines verstehe ich nicht. Warum ist sie so?“ „Angelika, dass wissen wir nicht und es nützt auch nicht darüber zu spekulieren. Lucy war so lange weg, dass – auch wenn es mir schwerfällt es zuzugeben – ich sie nicht so gut kenne wie Cate, bei der ich fast alles von der Stirn lesen kann. Irgendwann ist sie bereit es mit uns zu teilen, was auch immer sie beschäftigt – bis dahin können wir ihr nur das Gefühl geben, dass wir ihr Zuhören würden.“ „Es ist einfach nicht meine Art“ zweifelte Angelika „Ich weiss doch. Meine war es auch nicht, aber die Pferde haben es mich gelehrt.“
Ich wartete einen Augenblick. Es herrschte Ruhe. Nachdem ich auf zwanzig gezählt hatte, klopfte ich an und trat ein. Da standen sie: Dad und Angelika. Wie gerne hätte ich mich zu ihnen gestellt und alles vergessen. Aber ich stand draussen vor der Tür – bildlich und in der Realität. „Tobias und ich wollen gehen“ „Ist es schon so spät? Klar ich komme sofort.“ Angelika stand auf und zog ihre Jacke an.
Der Ritt mit Tobias war wunderschön. Nicht nur weil die ganze Landschaft verschneit war – nein. Tirina macht das alles so schön. Als ich in den Stall kam, begrüsste sie mich mit ihrem bekannten Brummeln. Sie pustete mir ins Gesicht und hielt den Kopf über die Boxentür. Und obwohl wir nicht miteinander redeten mit Hilfe der Gedankenübertragung, so führten wir den Dialog mit Hilfe unserer Körpersprachen und kleinen Gesten. Ich war so über glücklich. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass ich Tirina so schnell als Freundin zurückgewinnen konnte. Nie... Vielleicht war sie doch nicht so weit weg gewesen. Wir scherzten und lachten und ich hatte das Gefühl, endlich wieder einmal leben zu können. Ich war so unbeschwert und frei. Ich genoss das Gefühl bis ins letzte, das ich wusste, dass hier neben mir meine Freunde waren, auf die ich zählen konnte. Sie machten mich stark. Sie brachten Licht in die Schweisswelt und liessen alles weniger düster aussehen. Vielleicht stimmt es doch, dass geteilte Sorgen halbe Sorgen waren... Erst als wir kurz vor dem Stall waren, sprach Tobias das Thema an. „Hast du schon darüber gedacht, an die Nummer anzurufen?“ Ich sah ihn an. „Nein. Ich weiss nicht, ob dass so eine gute Idee ist...“ meinte ich niedergeschlagen. Er sah mich von der Seite an. „Entschuldigung Lucy. Ich frage mich nur seit gestern Abend wer diese Amber Milford ist und wer Madison Owen. Ich habe die Adresse gegoogelt und dort wohnt wirklich eine A. Milford und die Telefonnummer stimmt auch. Ich bin einfach los neugierig.“ Ich seufzte. „Ich weiss Lucy. Für dich ist das einfach extrem schwer wegen deiner Mutter und weil alles von ihr nun mit einem Fragezeichen versehen ist... Es tut mir leid, aber ich bin ein neugieriger Mensch.“ Ich lächelte ihn an. „Ich doch auch, Tobias. Ich habe mich auch diese Nacht gefragt, ob ich den Namen Amber Milford schon einmal gehört habe, mir kommt er unbekannt vor...“ Wir ritten ein paar Meter im Schritt weiter. „Aber ich glaube ich habe nicht den Mut da anzurufen.“ „Weshalb?“ „Wo wird mich das hinbringen? Vor die nächste Tatsache, die mich halb verrückt macht?“ „Und wird es dich nicht halb verrückt machen, wenn du es nicht tust? Wirst du dich nicht immer fragen, was wäre wenn?“ Ich blickte ihn an. Die Wahrheit war, ich hatte Angst. Angst irgendetwas zu tun oder nicht zu tun. Ich wusste nicht was besser war. Ich wollte doch bloss mein gemütliches Leben zurück! Doch ich wusste nicht, welcher der beiden Weg mich dorthin führen wird. Ich hatte grosse Angst, den falschen zu nehmen...
Lucy, wir sind bei dir.
Ich weiss, Tiri. Danke.
Dann ist gut.
Ich blickte Tobias an. „Ich weiss es einfach nicht, okay? Ich brauche einfach erst einmal ein bisschen Zeit...“ „Entschuldigung“, meinte Tobias, „Es tut mir Leid. Ich bin einfach neugierig.“ Ich blickte ihn an und lächelte. „Schon okay. Ich bin es doch auch... Aber ich ehrlich gesagt, ich habe Angst davor.“ Tobias sah mich an. „Lucy du brauchst keine Angst zu haben. Ich werde immer hinter dir stehen und egal zu welchem Zeitpunkt, wenn du mich anrufst, komme ich.“ Ich strahlte ihn an. „Danke.“ Ich wusste nun mit Sicherheit, dass ich die Tür zur Freiheit noch nicht gefunden habe, aber mit Tobias und Tirina an meiner Seite, hatte ich den Schlüssel, um die Tür zu öffnen, sobald ich sie finden werde.
Ich hielt Navajos Kopf. Versucht ihn zu beruhigen, doch ich merkte, dass mit jeder Sekunde seine Kräfte zurückkamen. Ich merkte, wie er sich anspannte. „Achtung Angelika, er kommt hoch!“, rief ich und sprang zur Seite. Navajo rappelte sich mühsam auf. Erst hatte ich Angst, dass er wieder davon rennt, aber er blieb da. Ich legte ihm den Zügel über den Hals, auch wenn ich ihn so nur begrenzt zurückhalten konnte. „Gut so mein Junge“, Angelika kraulte ihn am Hals. Navajo verspannte sich erst unter der Berührung, doch dann entspannte er sich wieder, auch wenn er sehr aufmerksam blieb – jeder Zeit fluchtbereit. „Wir brauchen ein Halfter, dass Gebiss will ich ihm nicht wieder anziehen“, meinte ich. Angelika nickte, drehte sich zur Tür um. „Cate?“ Ich wusste gar nicht, dass sie da stand. „Ja?“ antworte sie „Kannst du uns ein Halfter holen aus dem Transporter?“ Sie rechte den Daumen nach oben und ritt auf Carry Me davon. Während Cate davonritt, öffnete Dad das Tor und kam in die Halle. Kurze Zeit später kam sie zurück und gab Dad das Halfter, der immer noch am Halleneingang stand. Langsam kam er auf uns zu. Navajo hob den Kopf.
Alles Gut, Navajo.
Nein ich mach dir nichts, keine Angst. Ich gehöre zu Lucy und Angelika.
Verwirrt sah ich zu Dad rüber. Das mussten seine Gedanken sein! Ein Schauer lief mir den Rücken runter. Das so was ging!
Das ist mein Dad, Navajo. Er wird dir auch helfen.
Während ich die Mitteilung übertrug, sah ich Dad an. Wir blickten uns an. Auch für ihn war es vermutlich das erste Mal.
Dad kam langsam auf uns zu und machte immer eine Pause, wenn Navajos Angst anstieg. Als er bei uns ankam, konzentrierte er sich noch eine Weile auf den Wallach, eher er sich dann zu mir um drehte. „Hier, dir vertraut er stärker.“ Ich zog Navajo das Halfter an, was er willig geschehen liess. „Bringt ihn raus, draussen hat es einen paar wenige Boxen, dort können wir ihn in aller Ruhe behandeln“, meinte der Tierarzt. Ich nickte. Lief los, aber Navajo blieb beim Zug auf dem Halfter sofort panisch stehen.
Komm Navajo, es passiert nichts Schlimmes. Kommt mit uns mit.
Zögerlich macht er einen Schritt auf mich zu. Dann einen zweiten. Dann einen dritten.
Ja, super so. Gleich hast du es geschafft. Komm Navajo.
Langsam setzte er sich in Bewegung. Er sprach nicht mit mir, aber er hörte auf mich! Ich hätte ihn am liebsten ganz fest geknuddelt, aber da er bei Angelikas Berührungen zusammengezuckt ist, liess ich es bleiben.
Der Tierarzt führte uns zu einer kleinen Box, nicht weit vom Eingang der Halle entfernt. Die Reiter draussen sah uns an, in manchen Gesichtern konnte ich Anerkennung lesen, andere hielten mich für verrückt. Als ich Navajo festband, fand Angelika und der Tierarzt, dass Navajos Kreislauf genug stabil war um ihn ganz leicht sedieren zu können, um die Wunde am Vorderbein gut zu säubern und dann unter lokaler Betäubung zu nähen. Als Navajo die Spritze bekam, ging es nicht mehr lange, ehe er sein Kopf fallen liess. Ich hielt ihn fest. Wie er nun dastand. Die Kraft, mit der er kämpft, war aus seinem Körper gewichen. Es tat mir richtig leid, ihn so zu sehen, aber es war besser so. Er hätte Angelika nie an seine Wunde gelassen und so konnte die mindestens richtig gut behandelt werden, ansonsten würde sie vielleicht lange nicht verheilen. Jetzt wo Navajo es langsam egal fand, was um ihn herum geschah, half der Tierarzt Angelika, so dass es schneller ging. Ich konnte nicht hinsehen und stand einfach da und hielt Navajos Kopf. Dad betrat die Box und stellte sich zu mir. „Ich bin stolz auf dich, Lucy!“ „Danke.“ Ich blickte meinen Dad an. „Wir hätten schon früher handeln müssen“, meinte er, „Draussen auf dem Abreitplatz spüre ich seine Angst schon.“ „Ich auch Dad, aber da konnten wir nicht eingreifen. Und nun ist ja nochmals alles gut gegangen.“ Er sah mich nachdenklich an. „Ja, aber nur knapp.“
„Und wie geht’s ihm?“ Ich hörte Tobias Stimme von draussen. Ich sah über meine Schulter. „Wir haben ihn sediert um die Wunde zu behandeln“, meinte ich und plötzlich erinnerte ich mich daran, dass ich vor dem ganzen mit den Twins an der Bande stand. „Wo sind Melanie und Livianne?“, fragte ich. „Draussen. Ein gewisser Theo Ebnet passt auf alle drei auf. Er meinte, er sei ein sehr guter Freund der Familie.“ Ich nickte. „Ja. Das ist der Vater von Marelle.“ „Ach so.“
Während Navajo einen Verband bekam betrat Cate und Marelle die Stallgasse. „Ich sag’s dir Cate, du kannst du stolz auf deine Schwester sein, sie ist einfach da rein und hat deinem Grossvater die Stirn geboten. Du hättest sehen sollen, wie sie gekämpft hat, als er sie rausstellen wollte.“ „Dad und ich waren draussen und dann haben wir plötzlich Angelika gehört, die ganz laut Lucys Name schrie, da ist Dad in die Halle rein gestürmt. Ganz so schnell konnte ich auf Carry nicht hinterher.“ Die beiden kamen näher. Cate schlüpfte in die Box, während Marelle draussen bei Tobias blieb. „Lucy du machst vielleicht Sachen, aber wie geht es unserem armen Pferd hier?“, fragte sie. „Zwar eine grosse offene Wunde, aber er hat sich wohl darunter nichts beschädigt“, meinte Dad. Cate sah fragend umher, „Ich finde es ja gut, dass ihr in behandelt, aber wo sind unsere Grosseltern? Wo ist Elvin?“ „Du sollen es ja nicht wagen auch hier in die Nähe zu kommen“, fauchte ich. Cate sah mich fragend an. „Wir haben zum Glück noch ein freien Platz im Transporter, Navajo wird mit uns heimkommen“, meinte Dad. „Grossvater hat euch Navajo überlassen?!“ „Nein, ich musste ihm den Schlachtpreis geben, aber ich konnte ihn ja nicht einfach ihm überlassen. Wir wissen wohl beide, was Navajo dann geblüht hätte. Wenn Frederik ihn am Leben gelassen hätte, dann wäre das für Navajo wohl fast noch die schlechtere Wahl gewesen“, meinte ich. „Elender Halsabschneider, schenken hätte er ihn dir können. Geldgieriger Misthund“, schimpfte Cate. Dad sah sie warnend an: „Cate, du kannst über ihn denken, was immer du willst, aber bitte mässige dich in deiner Wortwahl, okay?“ Cate funkelte Dad an: „Aber es ist doch so!“ Dad zuckte mit seinen Schultern: „Trotzdem, es ist immer noch dein Grossvater.“ „Ja und? Der kann mir gestohlen bleiben, den brauche ich nicht. Personen, die so mit ihren Tieren umgehen! Schau die offenen Stellen von den Sporen an. Ich will ja nicht wissen, wie das Training Zuhause aussieht. Mit solchen Leuten will ich nichts zu tun haben!“, meinte Cate bestimmt. Dad sah sie traurig an. Immerhin waren das seine Eltern, ich konnte ihn gut verstehen. Angelika, die mittlerweile die Wunde am Bein fertig behandelt hatte und nun sich Navajos Maul nochmals genauer ansah, mischte sich ins Gespräch ein: „Tim du kannst nichts für deine Eltern.“ Er nickte, doch ich konnte spüren, dass er trotzdem Schuldgefühle hatte. Er fühlte sich verantwortlich für sie, weil er ihr Sohn ist. „Tim, die Leute hier auf dem Turnier, wissen, dass du nicht hinter ihrem Handeln stehst. Und wenn sie es bis heute nicht wussten, dann wissen sie es nach dieser Aktion hier.“
Die andern hatten den Transporter startklar gemacht. Ich blieb beim Navajo und sah ihm zu wie er langsam wieder zu sich kam. Er stand da und sah mich unsicher an. Dad kam die Stallgasse runter. „Ist er wach? Wir wären startklar.“ „Ja er ist wieder wach. Schon seit gut zwanzig Minuten.“ Dad öffnete die Box und reichte mir den Strick und ein Halfter. Zuvor hatte Navajo das von Carry Me angehabt. „Von wo hast du das?“ „Von meinen Eltern, ich habe ihnen gesagt, dass seine Decke und sein Halfter brauchen. Wir bringen es morgen zurück, wenn wir ihnen das Geld bringen.“ Ich nickte und zog Navajo erst das Lederhalfter an und dann die Decke. Durch die Sedierung hatte er immer noch etwas mühe seine Körpertemperatur zu regulieren und im Transporter würde es noch etwas Zugluft geben. Dann führte ich ihn heraus. Es fühlte sich zwar so falsch an, als ich Navajo ansah. Auf der schwarzen Decke prangten das Logo meiner Grosseltern und ihr Stallname. Aber ich dachte mir, besser eine Decke als keine. Navajo kam zwar zögerlich und etwas humpelnd hinter uns her, aber er kam mit. Verladen liess er sich relativ gut. Die andern Pferde wieherten ihm zu. „Du kannst vorne einsteigen, die andern sind hinten.“ Ich nickte. Wir fuhren los und schon bald waren wir auf der Autobahn. Obwohl es erst sechs Uhr war, dunkelte es schon ein. „Marelle und Theo kommen noch bei uns vorbei zum Nachtessen.“ Ich nickte. „Ist gut“ Schweigend fuhren wir weiter. „Dad ich habe heute etwas Verrücktes getan, oder?“ „Einige Leute werden es für das halten. Aber ich finde nicht... Ich weiss nicht, ob ich den Mut gehabt hätte, Frederik so die Stirn zu bieten.“ „Ich habe schon die ganze Zeit Navajos Panik gespürt, an diesem Turnier und an den letzten, da habe ich das alles ganz automatisch gemacht, ohne nachzudenken. Aber ich meine nicht das. Ich habe schon zwei Pferd und zwei kleine Kinder. Ich habe nicht wirklich Zeit für ein drittes Pferd und Geld auch nicht wirklich...“ Ich legte meinen Kopf an die kühle Scheibe. „Ich denke Navajo nehmen wir erst einmal aufs Gestüt, oder?“ „Ja, ich wüsste nicht einmal, ob Nina platz hätte drüben auf Tsubasa.“ „Cate bekommt ja erst ein kleiner Lohn, soviel wie alle andern im dritten Lehrjahr auch bekommen hat. Wir haben abgemacht, dass sie bis sie voll verdient nichts fürs Essen abgeben muss, aber das sie sich um ihre Pferde kümmern muss. Die zwei Boxen gebe ich ihr gratis, aber den Hufschmied, Sattler und bei kleineren Summen den Tierarzt muss sie selber zahlen und sie muss sie natürlich selber versorgen. Nun spielt sie mit dem Gedanken Skyline zu behalten als zweites Turnierpferd neben Carry Me. Ich habe ihr gesagt, dass sie dann aber einfach den Boxenpreis zahlen muss, genau wie Natascha auch. Natascha kommt zwar nicht jeden Tag mehrmals zum Füttern und misten, aber hilft am Abend jeweils noch kurz mit bei den andern Pferden. Ich könnte dir Boxen zu den gleichen Konditionen geben auf dem Gestüt, Platz haben wir ja noch. Du müsstest also einfach die Kosten für die Box des dritte Pferd bezahlen und natürlich den Stall selber machen, respektive einfach hin und wieder mithelfen.“ Ich sah auf die Strasse hinaus. Tirina und Madonna aufs Gestüt holen? Es wäre eine Lösung. Die Kosten, die ich nun für die Vollpension bei Nina zahlte plus Hufschmied und Tierarztkosten von den beiden würden dann wohl ungefähr so teuer kommen wie auf dem Gestüt für alle drei. Und sie wären näher... Aber eigentlich wollte ich ja auf dem Hof bleiben, weil dort viele meine Freunde waren. Aber mittlerweile war ich nicht mehr ganz so oft dort und obwohl ich alle kannte, war höchstens Lisa noch jemand mit der ich öfters sprach und ich vermissen würde. Aber man konnte sich ja immer noch für einen Ausritt verabreden. So weit weg war ich dann auch nicht und ich wusste von Lisa, dass es ihr Traum war über kurz oder lang einen eigenen kleinen Stall zu betreiben. „Es wäre auf jeden Fall eine Lösung.“ „Lass es dir durch den Kopf gehen.“ Ich bezahlte Dad eigentlich nicht viel mehr als ich für meine Nahrung ausgegeben hätte. Ich bezahlte keine Miete, aber als ich ihn darauf einmal angesprochen habe, da meinte er, ein Zimmer im Haus hätte mir schon immer gehört und das würde auch immer mir gehören. Und als ich bei den Twins fragte, meine er, die sein ja schon fast so was wie seine Kinder, auch wenn es seine Grosskinder sein. Denen gehört zusammen auch ein Zimmer, genau wie mir und es würde auch immer ihnen gehören, egal was kommt. Aber auch wenn ich keine Miete zahlte, kamen so viele Kosten auf mich zu. Für Kleider für die Twins, ihre Spielsachen, Windeln, die ‚Krippenkosten’, die ich an Dad weiter zahlte, Spritkosten, Steuern, Versicherungen, Kosten für Kleider und Handy von mir sowie eben noch die Pferde. Aber ein drittes Pferd? Am Ende des Monats bleibt nicht mehr viel übrig und ich wahr unheimlich froh, dass Angelika Tirina behandelt hat, weil mich so nur ein paar Salben und Mittel bezahlen musst. Ansonsten wäre meine kleines Polster schnell aufgebrauch gewesen. Ich wollte das anlegen um irgendwann eine Reise mit meinen Kinder machen zu können, um ihnen zu zeigen, wo ich meine Kindheit verbracht habe und ich wollte auch ein kleines Polster haben für Unvorhergesehenes, sei das nun ein Klinikaufenthalt von Tirina oder Madonna oder was auch immer... Wenn ich bei Dad meine Pferde hatte, dann würde ich es mich billiger kommen, ich würde vermutlich sogar noch etwas Geld mehr zur Verfügung haben, was nicht schaden würde. Denn wenn meine Kinder älter werden, werden sie bestimmt auch mehr kosten... Sie würden ihre eigen Hobbys auswählen, die auch was kosten. Ich bereue nicht, dass ich Navajo geholfen habe, keines Falles, aber ich habe keine Sekunden an meine Finanzen verschwendet. „Ist es okay, wenn ich es mir bis morgen überlege? Aber ich denke, mittlerweile überwiegen die Vorteile. Früher, da war mein Lebensmittelpunkt Tsubasa, aber jetzt bin ich fast nur noch drüben zum Reiten und meistens komme ich eh zu solchen Zeiten, wo keiner da ist.“ „Wir haben noch mindestens 9 freie Boxen plus die Gastboxen, also kannst du dir zeitlassen. Das Angebot wird immer stehen.“ Dad stellten den Blinker und fuhr von der Autobahn ab. „Ich habe Max vergessen anzurufen. Kannst du ihm noch sagen, dass er eine Box für Navajo einstreuen soll?“ „Darf er nicht noch zwei Stunden nach der Sedition nichts fressen?“ „Stimmt, dann stellen wir ihn erst Mal raus auf den Paddock. Ruf ihn aber trotzdem an, dann kann er schon mal ein zweites Pferd raus stellen, damit Navajo nicht noch ungefähr eine Halbestunde allein draussen stehen muss.“ Ich nahm mein Handy hervor. Maxs Nummer hatte ich schon so oft gewählt, dass ich sie mittlerweile auswendig kannte. „Ja? Max da“, hörte ich seine mir so bekannte Stimme. „Hier ist Lucy.“ „Hallo Lucy, was gibt’s?“ „Wir sind gerade von der Autobahn runter, hast du die Pferde schon rein genommen?“ „Vor zehn Minuten.“ „Kannst du vielleicht zwei wieder rausstellen? Wir haben ein Pferd dabei, dass noch nichts fressen darf für eine halbe Stunde. “ „Äh ja, aber warum?“ „Wir haben ein viertes Pferd dabei.“ „Was hat Tim angestellt?“, meinte Max lachend. „Nein, diesmal war ich es.“ Da war erst mal ruhe. „Entschuldig, ja klar ich bring zwei Pferd raus.“ „Danke.“ „Bis später.“
Wir fuhren durch die Dörfer, mittlerweile war es wirklich schon sehr dunkel. Wie es wohl Navajo erging? Hoffentlich gut. Dann bogen wir ab und durchquerten Sonntal. Jede Kurve war mir so bekannt. Jedes Haus hier. Es fühlte sich wirklich an wie heimkommen. Dad verlangsamte, da unser grosser Transporter ein wenig gross war für die schmalen Strassen, aber Dad hatte ihn im laufe der Jahre schon so oft durch diese Strasse manövrierte, er konnte das im schlaf machen. Wir führen zur Hofeinfahrt und ich stieg aus um das Tor zu öffnen, das immer geschlossen war, damit die Hunde nicht raus auf die Strasse liefen. Als Dad den Transporter parkte, sah ich wie Max aus dem Stall kam, gefolgt von zwei Angestellten: Ulrike Sommer und Tom Gillighan. Ich lief zum Fahrzeug hin und öffnete die kleine Tür und schlüpfte zu den Pferden rein. Navajo sah mich an. Es schien ihm gut zu gehen, auch wenn er dem allen hier nicht ganz so vertraute. Ich nahm den Strick und klickt ihn im Lederhalfter ein. Erst jetzt viel mir die goldene Plakette auf. Auf der stand nicht sein Name, es stand ‚Stall Davids’ drauf, darunter Helene und Frederik Davids. Das erste was ich machen würde, ist dieses Halfter und die Decke mit ihrem Logo gegen eine andere tauschen. Ich konnte die nicht mehr länger sehen, Navajo gehörte nicht mehr da hin.
„Kann ich öffnen?“ hörte ich Dads Stimme draussen. „Ja.“
Er liess die Rampe runter und ich führte Navajo hinaus.
Max sah mich an. „Ihr habt ein Pferd der Davids mitgebracht?“, fragte Tom erstaunt. „Lucy, hat es ihnen abgekauft. Als ich finde ja immer noch, Grossvater hätte es ihr schenken müssen, aber...“, meinte Cate, die gerad ein den Hänger schlüpfte um Carry Me raus zu führen. „Aber...“, stammelte Max, „das ist doch Navajo?!“ Ich nickte. „Ja. Er hat nun ein besseres Leben verdient.“ Der Wallach stand da und sah über den Hof. „Und Frederik hat ihn dir einfach so überlassen?“, fragte Max erstaunt. „Nein. Aber er ist mit Elvin ins Hindernis rein gekracht. Dad und ich hatten schon lange das Gefühl, dass da was nicht stimmt und gemerkt, dass es Navajo nicht gut geht. Er ist dann panisch in der Halle herum galoppiert mit offener Wunde am Vorderbein. Und sie wollten ihn dann zum Metzger bringen, weil er ein so gefährliches Tier sei, dass nicht mehr tragbar sei. Er würde Menschenleben bedrohen immer und immer wieder. Aber das tut er nur, weil er ein Kämpfer ist und nicht sich nicht so schnell aufgibt. Er hat offene Stellen im Maul vom Gebiss und am Bauch hat es einige Narben von den Sporen...“ Max kam auf das Pferd zu. Navajo lief drei Schritte rückwärts und legte die Ohren an. Max blieb stehen.
Alles gut, er macht dir nichts. Er gehört zu uns.
Ich merkte wie sich Navajo wieder entspannte. Max machte erneut einen kleinen Schritt auf das Tier zu und diesmal wich er nicht weg. „Guter junge“, meinte er. „Die Wunde am Bein ist die schlimm?“, fragte er. „Geht so.“ meinte Angelika, die mit dem schlafenden Benjamin auf dem Arm zu uns kam, „Aber die Wunde am Bein ist nicht sein grösstes Problem. Der anwesende Tierarzt und ich sind uns ziemlich einig, dass seine Beine mit Salbe eingerieben wurden...“, fuhr sie fort. „Mit DER Salbe?“ fragte Max erschüttert. „Ja, damit er seine Beine auch ja über die Stangen nahm.“ Ich sah Navajo an. Das konnte wirklich stimmen, wieso hatte er, obwohl er so panisch war, versucht seine Beine über die Stange zu kriegen und ja keine abzuwerfen? „Aber ich denke die Salbe war nicht das einzige unerlaubte Trainingsmittel...“ fügte Angelika leise hinzu Max blickte zu Tim hinüber, der zu weit entfernt stand, um etwas verstanden zu haben. „Ja, das kann sehr gut sein.“ „Ich werde Tim morgen darauf ansprechen, aber im Moment wäre es zu viel. Er weiss ja noch nicht alles, aber er hält das schon fast nicht aus. Ich glaube er hält sich für mitschuldig, weil es seine Eltern sind.“ „Ich habe ihm schon einige Male gesagt, dass er nichts für das Handeln seiner Eltern kann. Alles was er machen kann, ist sie nicht mehr unterstützen, so wie er es schon seit Jahren macht“ Navajo wieherte. Max und Angelika sahen mich an. Still schweigend kamen wir zum abkommen, dass ich das eben gehörte auch noch ein Tag für mich behalten würde. Was für andere Methoden wohl noch bei ihm angewendet wurden? „Lucy bring ihn erst mal auf den Paddock und dann richten wir ihm eine schöne Box, ich hatte leider keine Zeit mehr dazu.“, meinte Max und brachte mich so aus dem grübeln raus.
Ich führte den Wallach zum Sandpaddock und liess ihn laufen. Er stand da und sah zu den andern Pferden rüber. Dann versuchte er los zu galoppieren, stolperte aber wegen seinem Verband und blieb wieder stehen. Er wieherte laut und bekam von seinen Nachbarn Antwort. Er humpelte zur Abtrennung und beschnupperte die beiden Stuten neben ihm. Dann schüttelte er sich und versuchte wieder zu galoppieren, was aber nicht ging. Er sah wie ein kleines Kind, dass wochenlang im Regenwetter drinnen sitzen musste und nun endlich einmal wieder auf den Spielplatz durfte. Die andern versorgten die Pferde. Schon bald hörte ich weiteres wiehern. Ich hatte gar nicht daran gedacht, dass Marelle und Theo auch kommen. Sie luden Unido aus dem Hänger aus und brachten ihn nach hinten in eine Gastbox, von der er die andern Pferde sehen konnte. Es war wohl nicht das erste Mal, denn Marelle und Theo fanden alles ohne Hilfe. Dann kamen sie zu mir rüber. Gemeinsam sahen wir Navajo zu wie er über seinen Paddock humpelte und dabei immer mutiger wurde. Die Stuten neben an, interessierten sich irgendwann nicht mehr für den Neuzugang und wendeten sich wieder ihrem Heunetz zu. Max tauchte auf und drückte mir eine Decke. Es war eine der himmelblauen Gestüt Silvermoon Decken, die Dad immer hatte. Das Logo war an der Seite drauf genäht. Jedes Pferd auf dem Hof besass so eine, aber unter dem Logo stand immer noch der Name des Pferdes. Ich ging zu Navajo hin und wechselte die Decke. Es war ein gutes Gefühl ihm nun unsere Decke überzulegen. Es war wie ein Versprechen, dass ich nun unterschrieb, dass er wirklich zu uns gehörte. Ich zog ihm das Lederhalfter meiner Grosseltern auch gerade aus und ging zu Max zurück. Nachdem alle Pferde versorgt, kamen die andern auch noch. Nach einigen Minuten des Zuschauens, beschlossen sie nun ins Haus zu gehen. Ich machte mich auf und ging eine Box für Navajo einstreuen.
„Max hast du mir noch ein Halfter?“ „Musst einmal hoch gehen auf den Dachboden. Ich dachte ihr hätte ein von euch genommen. Soory“ Obwohl ich nun schon so lange hier war, war ich nur selten dort oben. Die Sachen die, wir im Alltag brauchten waren entweder an den Boxen oder in der Sattelkammer. Ich ging die Treppe nach oben. Ich lief vorbei an unzähligen Futtersäcken, Stroh- und Heuballen und dann öffnete ich die Tür zur Kammer dahinter. Ich ging rein und schaltete das Licht an. Hier lagen Sättel, die gerade nicht gebraucht wurden. Ich wusste noch, wie ich Cate einmal geholfen hatte ein Gebiss zu finden – das war sehr schwer, denn mein Vater hatte ganze fünf Kisten voll. Ich ging am Gestell mit den Sattelgurten und Steigbügel vorbei nach hinten. Da lagerten die Decken. Die meisten von ihnen waren die himmelblauen Winter- und Regendecken oder die silbernen Fliegendecken des Gestüts Silvermoon. Doch es gab auch noch ein paar Decken in andern Farben, die mein Vater von irgendwo sonst hatte. Vielleicht bevor er diese Silvermoon-Decken hatte oder vielleicht von Pferden die hier bei ihm im Training waren oder er gekauft hatte. Die Pferde, die meinem Vater gehörten, hatten fast alle mittlerweile die Silvermoon-Decken auf. Die Pferde im Training hatten oftmals ihre eigenen Decken. Ich ging weiter. Ich fand unzählige weisse Schabracken mit unserem Logo und dazwischen auch ein paar Himmelblaue – ich hatte die noch nie zuvor gesehen, ich musste Dad einmal fragen, warum er die nicht benutzt. Aber es hatte auch noch viele anders farbene unbestickte, denn hier Zuhause ritt er nicht immer nur in weiss. Fast in allen Regenbogenfarben fand ich. Auch Bandagen lagen hier, wobei der weisse Anteil zahlenmässige überragte. Und dann fand ich endlich die Halfter. Dad hatte noch wenige Lederhalfter hier oben, die meisten waren wohl im Einsatz. Es waren die ‚Ausgangshalfter’, wie er sie nannte. Aber ich fand auch solche in Nylon und hier überwiegte der himmelblaue Anteil. Ich suchte ein blaues in der Richtigen Grösse und nahm auch gleich noch einen Strick mit. Ich sah auf die Uhr, nun war schon fast zweieinhalb Stunden vergangen. Ich konnte ihn also reinholen. Max geisterte auch noch im Stall rum und er half mir die drei Pferde rein zu holen. Navajo liess sich ohne Probleme einfangen und dann ich führte ihn in seine Box. Er nahm etwas Heu und streckte dann den Kopf über den Teil der Abtrennung den Kopf zum Nachbar rüber, der ihm nur bist zur Brust reichte. Die Stute, die ihn von draussen schon kannte, nahm keine Notiz von ihm und frass weiter. Navajo zog seinen Kopf zurück und lief einmal im Kreis, dann stand er verdutzt vor dem Vorhang nach draussen. Er ging langsam hin, sprang dann aber wieder zurück, als der Wind ihn ihm leicht entgegen wehte. Ich ging rein und führte ihn durch. Er sprang todesmutig durch den Vorhang und blieb dann draussen stehen und sah ihn ängstlich an. „Schliesshass du!“, meinte ich zu ihm. Max kam und hängte den mittleren der fünf Streifen aus, sodass es für den Wallach am Anfang etwas einfach war durch zu gehen. Ich ging rein und er folgte mir, doch er streckte nur den Kopf durch den Schlitz im Vorhang. Als seine Brust die Streifen berührte, sprang er ängstlich zurück. Ich ging nach draussen führte ihn nochmals durch. Er folgte mir todesmutig. Ich führte ihn gleich nochmals raus und liess ihn los. Er kam wieder, strecke seinen Kopf durch den Schlitz und lief so lange zögerlich vorwärts, bis der Vorhang seine Brust berührte. So stand er eine Ewigkeit da. Irgendwann nahm er all seinen Mut zusammen und rannte durch. Er fand das gar nicht toll. „Er wird es schon noch lernen und jetzt ist er ja erst mal drin“, meinte Max. „Komm wir gehen essen.“ Gemeinsam gingen wir zischen den Weiden hindurch. Zoey kam angerannt und folgte mir. Ich strich ihr über den Kopf. Seit ich auf dem Gestüt wohnte, war sie praktisch den ganzen Tag mit Basil und Twister draussen. In der Nacht hätten alle drei Hunde mit ins Haus dürfen, nur Basil war auf einem Bauernhof aufgewachsen und schlief viel lieber irgendwo in der Scheune oder im Heustock. Der um einiges jüngere Twister hat Basil alles abgeschaut und so war auch er mittlerweile nicht mehr ins Haus zu kriegen. Zoey entschied sich Nach für Nach anderes. Manchmal bevorzugte es sie mit den andern beiden im Stall zu bleiben, manchmal kam sie am Abend mit ins Haus. „Was hast du mit Navajo im Sinn?“ fragte mich Max. „Keine Ahnung, erst lass ich ihn hier mal zur Ruhe kommen und dann schauen wir mal weiter, ein bisschen Bodenarbeit, Spaziergänge und vielleicht Ausritte.“ „Klar, aber ich meine längerfristig.“ „Keine Ahnung.“ „Du willst mit ihm nicht auf Turniere?“ fragte mich Max erstaunt. „Äh nein, ich glaube nicht, dass Navajo das mitmacht. Ich habe ihm versprochen, dass er nicht mehr leiden muss und ich war noch nie ein Turniergänger –Cate scheint meine Dosis da gleich auch noch abbekommen zu haben.“ „Ja, Cate ohne Turniere am Wochenende, wäre schon was ganz neues. Aber du hättest das Zeug dazu und Navajo sowieso.“ „Nee, nee. Und überhaupt, es wäre ein langer Weg bis da hin.“ „Ich denke er wäre kürzer als du denkst.“ Ich seufzte. „Nein, Max. Die Turnierwelt ist nicht meines. Vielleicht hin und wieder was kleines, aber mehr nicht.“ Max nickte. „Schade, denn Navajo ist das geborene Turnierpferd. Du hättest ihn mal sehen sollen mit welchem Ehrgeiz der gesprungen ist, bevor der zu den Helene und Frederik kam. Unglaublich, echt! Er liebt das Springen genau so wie Cate. Musst mal im Youtube schauen, da gibt es bestimmt Videos.“
Gemeinsam assen wir zu Abend und Marelle gab nochmals meine Aktion zum Besten. Colin war auch herüber gekommen und er und Max hörten gespannt zu. Auch wenn ich in Wirklichkeit nur halb so heldenhaft war, wie ich in Marelle Schilderungen dargestellt wurde. Es war schon spät und so verabschiedeten sich die Marelle und Theo. Tobias hatte keinen Zug mehr zurück und so richtete Angelika kurzerhand das Gästezimmer her. Ich schleppte mich die Treppe rauf und legte mich ins Bett. Der Mond schien durchs Fenster und beleuchtete den Kasten. Mein Herz, war so leicht geworden an diesem Tag. Ich merkte wie lange ich nicht an das Tagebuch gedacht habe. Fröhlich öffnete ich die Tür. Endlich, endlich würde ich die Lösung in meinen Händen halten. Ich war Tobias so dankbar, dass er mich auf diese simple Lösung des Problems gebracht hat. Alle Fakten sprachen dafür, dass meine Mutter tot war und so mussten die nächsten Seiten einfach weiss sein! Ich nahm das Heft in die Hand und setzte mich aufs Bett. Gleich, würde ich schwarz auf weiss den Beweis dafür haben, dass ich mein Hirngespinst in Luft auflösen muss. Mom, kann nicht mehr leben. Ich schwor mir, bevor ich das Heft öffnete, dass wenn die nächste Seite, weiss ist – von dem ich überzeugt war – ich nicht mehr darüber spekulieren würde, weshalb meine Mutter dann noch den letzten Eintrag geschrieben hat. Es fühlte sich an, als stehe ich vor der Tür in die Freiheit.
So hier endlich einen weiteren Bericht. Es ist ja (leider) nicht mehr viel los hier... Ich habe lange überlegt, ob es vielleicht nun Zeit ist Lucys Geschichte auf Eis zu legen, aber ich habe mich entschlossen doch weiter zu schreiben, egal ob es hier nun so ruhig ist oder nicht. Ich habe viel Freude am Schreiben von Lucy Geschichte, aber leider ein bisschen wenig Zeit dazu. Die knapp 40 Seiten wie alles weiter geht, möchte ich euch natürlich nicht vorenthalten. Viel Spass beim Lesen!
Nr. 48 - Tür zur Freiheit?
Mit einem leisen Piepsen kündigte sich die WhatsApp Nachricht von Tobias an.
Hey wie geht es? Sind schon wieder 1.5 Monate vergangen seit unserem letzten Treffen. Wie sieht’s aus, soll ich am Wochenende vorbeikommen?
Ich wollte ihn nicht sehen, genau wie letztes Wochenende nicht, wie vorletztes Wochenende und wie die Woche davor. Ich schaltete mein Handy wieder auf Ruhezustand. Vor 4 Tagen war Max mit mir bei seiner Frau gewesen und ich war verwirrter den je. Jetzt spuckte mir nicht nur immer „03.03.2012, 8:03 - Ich habe den Unfall überlebt!!!“ im Kopf herum, sondern auch noch die komischen Erklärungen zu Tassen und zusammengeleimten Scherben. Ich hatte eine Familie. Eine Familie die mich liebte. Ich hatte sogar eine neue Mutter, die mich liebte, als wäre ich ihre eigene Tochter. Doch ausgerechnet jetzt musste meine Mutter alles zerstören! Wie kann etwas, dass in der Vergangenheit gemacht wurde, die Gegenwart dermassen beeinflussen. Mein ganzes Leben zerstören. Ich sah, die besorgten Blicke von Dad und Angelika. Ich merkte, wie sie mir Chancen gaben wollten, um mit ihnen zu sprechen. Aber ich konnte nicht, ich wollte nicht. Mein ganzes Leben war schon zerstört worden, meine Familie durfte ich damit nicht auch noch belasten. Und Tobias würde ich überhaupt nicht ertragen. Er würde noch viel mehr mich zum Sprechen drängen, als es Angelika tat. Sie fragte ständig und ich schrie sie mittlerweile schon an. Es tat mir ja leid, aber ich wollte nicht mit ihr reden, verstand sie das nicht? Ich merkte wie langsam meine Freundschaften zerbrachen. Erst die zu Tirina, dann die zu Tobias, die zu Angelika wankte auch schon. Und auch zu Cate und Dad bekam sie Risse. Ich wollte das alles nicht! Himmel noch einmal, ich habe es mir nicht ausgesucht!
Als ich nach unten kam, war Angelika schon nicht mehr in Sicht. Wie jeden Morgen und an manchen Nachmittagen war unter der Woche, war Camilla da, die sich um den Haushalt kümmerte und ein Auge auf die Kinder hat, während Angelika ihre Pferde im Stall versorgte. Ich setzte mich zu ihr an den Tisch in der Küche.
„Du siehst nicht gut aus.“ Meinte Camilla zögerlich. „Mmh.“ Brummte ich. „Bin bloss ein bisschen müde.“ Camilla sah mir in die Augen. „Okay.“ Doch ich hörte aus ihrer Stimme, dass sie es mir nicht abnahm. Wie leid es mir tat, aber ich konnte nicht anders. „Lucy, ich hätte gerne kurz mit dir gesprochen unter vier Augen.“ Ich blickte sie an. „Ja?“ Wenn ich sie schon anlügen musste, dann konnte ich ihr mindestens ein wenig meiner Zeit schenken. „Stefan bekommt einen neuen Job, er wird befördert und wird dann einiges mehr an Geld verdienen.“ Ich lächelte sie an. „Wie toll. Ich freu mich für euch!“ „Ja, aber das war erst Teil eins.“ Ich sah sie fragend an. „Ich müsste es eigentlich zuerst deinem Vater sagen, aber ich wollte erst einmal mit dir drüber reden“, meinte sie und sah mich dann an: „Lucy ich bin wieder schwanger.“ Es dauerte erst einige Zeit, bis ich realisiert was die Worte bedeuteten. Doch dann sah ich sie an. „Ich freu mich für dich.“ „Danke.“ sie legte ihre Hand auf den Bauch. „Manchmal kann ich es immer noch nicht glauben. Eric und Linnea werden nun noch ein kleines Geschwisterchen bekommen.“ Ich blickte sie an. Als ich ins Internat kam mit 12, da war Cam in der Abschlussklasse und fast 8 Jahre älter als ich. Nun war sie 27 und Mutter von zwei Kinder, bald drei. Wie die Zeit schnell vergeht! „Ich kann noch ein paar Wochen für euch arbeiten, aber wenn Kind Nummer drei auf die Welt kommt, werde ich dann wohl Kündigen müssen. Ich werde so lange hier bleiben, bis ihr einen Ersatz gefunden habt, aber mit einem Baby kann ich nicht arbeiten und da Stefan eine Gehaltserhöhung gekriegt hat, werden wir schon irgendwie über die Runden kommen. Wir müssen.“ Ich sah sie an. Nein. Nicht das auch noch! Ich fand es schon schwer genug meine Kinder Camilla anzuvertrauen, die ich schon so lange kannte. Ich wollte niemand neues. „Lucy, so schnell gehe ich nicht. Keine Angst, ich bleiben noch ein paar Monate, aber ich werde es in den nächsten paar Tagen deinem Vater sagen, damit ihr euch nach jemandem anders umsehen könnt.“ Ich nickte. „Ja.“ Doch ich wollte ‚nein’ schreien. „Hör zu Lucy, ich weiss wie schwer es dir das fällt. Ich möchte ja auch nicht, das Linnea und Eric von jemand fremden den ganzen Tag betreut werden und ich verspreche dir, ich werde so lange auf Melanie und Livianne aufpassen, bis ihr einen Ersatz gefunden habt, dem du Vertrauen kannst.“ Camilla legte einen Arm um mich.
Den Tag verbrachte ich im Reisebüro, über Mittag ging ich zu Tirina und Madonna. Mit Madonna machte ich einen kurzen Ausritt. Tirina überliess ich Sammy. Sie war eine tolle Helferin und ritt auch mal Madonna, wenn ich keine Zeit hatte. Manchmal meinte es der Schicksalsgott doch gut mit mir, Samantha hatte er zu richtigen Zeit für ein Jahr nach Deutschland gesendet. Doch das traurige war, dass Tirina mich nicht mehr beachtete. Sie hob den Kopf nicht mehr. Kam nicht zum Tor. Begrüsste mich nicht mehr mit einem grummeln. Jedes Mal, wenn ich im Stall war, wurde mir bewusst, das ich eine meiner beste Freundin verloren hatte. Tobias hat die Stelle von Chloe eingenommen, aber Tirina auf eine besondere Art und Weise auch. Auch wenn ich es nicht für möglich gehalten hätte. Erst jetzt wurde mir bewusst, wie sehr sie zu meinen engsten Freundeskreis gezählt hatte. Ein Pferd! Ja ich weiss, aber dass ist nun mal die Wahrheit... Cate, Tobias und Tirina. Klar habe ich noch mehr Freunde und meine Familie, aber erst jetzt realisierte ich, wie hart es ist, dass ich Tirina verloren habe. Und Tobias würde ich schon bald auch verlieren, wenn ich so weiter machte... Aber hatte ich eine Wahl? Als ich am späten Nachmittag aufs Gestüt fuhr war es schon dunkel. Ich sah in den Ställen Dad bei Silvermoon stehen. Ich ging zwischen den Weiden hindurch aufs Haus zu. Angelika war schon am Kochen und meine Twins begrüssten mich fröhlich. Livianne und Melanie sassen auf der Decke in der Ecke des Wohnzimmers, während mein kleiner Bruder im grossen Kinderbettchen schlief. Sein ständigen Begleiter, den Stoffhase, hielt er fest umschlungen. Meine beiden Mädchen spielten mit den Bauklötzen, die ihre Urgrosseltern – nein, stopp, das wären ihre Stiefurgrosseltern ? Wie auch immer... – Elia und Gustav ihnen mitgebracht haben. Als ich mich zu meinen Mädchen setzte und mit ihnen Türme baute, waren augenblicklich alle Sorgen vergessen. Livianne und Melanie schaffte es jedes Mal aufs Neue meine ganze Konzentration zu fesseln und ich konnte für einige Minuten unbeschwert sein.
Dad kam rein. „Kommst du morgen mit aufs Turnier, Lucy?“ „Ich weiss noch nicht. In letzter Zeit habe ich ein bisschen wenig Zeit gehabt für meine Pferde...“ Dad sah mich an. Ich benutzte es als Ausrede und das merkte er. Es war verrückt, aber ich ging nicht gerne in den Stall. Nicht mehr. Aber ich würde jedes Mal am liebsten losheulen, wenn ich Tirina sah, die mich nicht mehr beachtete. Dad zögerte noch einen Augenblick. „Lucy, das ist das letzte Turnier dieses Jahr. Komm doch mit und ich komme am Abend rüber mit auf den Hof. Nein, dann merkt er, dass Tirina und zwischen mir nichts mehr ist... Aber egal, dachte ich. Er merkt ja eh schon, dass mit mir etwas nicht stimmt. „Also gut.“ meinte ich zögerlich. Wenn meine Twins dabei waren, konnte ich den Tag noch irgendwie überstehen. Ich nahm Mel und Liv auf den Arm und ging nach oben. Ich brachte die beiden Mädchen ins Bett und ging dann wieder nach unten. Schon auf der Treppe hörte ich Angelikas Stimme.
„Tim, ich schaue da einfach nicht mehr zu.“ „Du musst Angelika, sonst verlieren wir sie ganz.“ „Nein, auf deine Art verlieren wir sie. Schau dir sie an! Tobias hat heute sogar angerufen, dass er sich Sorgen macht...“ Ich machte einen Schritt weiter und stand so, dass ich Dad und Angelika gerade noch nicht sehen konnten. Dad atmete tief ein und schüttelte den Kopf. „Bedräng sie ja nicht Angelika. Bitte.“ „Dasitzen und Abwarten ist ganz sicher auch nicht die Lösung!“, meinte sie genervt. „Du musst ihr die Möglichkeit bieten und ihr vertrauen...“ „Ich weiss, dass sagst du immer und bei den Pferden scheint es auch zu funktionieren, aber Lucy ist ein Mensch. Sie ist deine Tochter! Wenn du nichts tust Tim, dann tue ich was – auf meine Art.“ Dad schwieg und dann meinte er zögerlich: „Tobias hat heute angerufen? Du hast also seine Nummer?“ „Ja.“ „Gut, dann ruf ihn an und sag, dass er mit ans Turnier kommen soll.“ Angelika nickte. „Gut.“
Ich drehte mich um und ging nach oben. Gab es was schlimmeres, als, dass man schon bevor man in die Sackgasse einbiegt, weiss, dass es eine Sackgasse ist? Nein! Aber einen Ausweg gab es nicht und so musste ich mich wohl oder übel stellen.
Die Fahrt zum Turnier war für mich die Fahrt zum Verhör. Ich wusste es, aber durfte es mir nicht anmerken lassen. Es war die Hölle, ich wäre am liebsten ausgestiegen und davongerannt. Dort angekommen, wollte ich mich freiwillig als Babysitterin melden für die drei kleinen, aber Angelika übernahm alle drei. Und noch während wir die Pferde ausluden überraschte mich Tobias. Er grinste mich an.
„Na, freust du dich?“ Ich versuchte glücklich zu wirken. „Ja! Ist super.“ Zum Glück hatte ich zwei Pferde in der Hand und konnte somit Distanz waren. „Ich bring schnell meinen Rucksack zu euch in den Transporter rein und begrüsse die andern. Meine Patenkinder sind drinnen, oder?“ „Ja.“
Ich war froh ihn los zu sein. Eigentlich wollte ich das ja nicht, aber irgendwie ja schon. Ich wollte einfach alles vergessen was mich in den letzten Wochen non-stop beschäftigt hat und einfach nur glücklich sein. Den Morgen brachte ich irgendwie so über die Runden. Da Dad mit einigen startete und ich sah, dass ich immer irgendwie beschäftigt war und Leute um uns herum waren, gelang es mir, dass Tobias keine Fragen stellen konnte. Sein sorgevoller Blick ruhte aber doch auf mir. Auch beim Mittagessen im Transporter gab es keine Möglichkeit, da alle um uns herum waren, aber machte mir Angelika einen Strich durch die Rechnung.
„Tobias und Lucy, könnte ihr vielleicht für eine halbe bis eine Stunde auf die drei kleinen aufpassen?“ „Sicher“, meinte Tobias. In mir sträubte sich alles. Nun war ich gefangen im Transporter mit Tobias alleine. Die Twins und Ben zählten ja nicht wirklich. Als die andern sich wieder auf nach Draussen machten, Cate würde bald mit Carry Me starten, fingen wir schweigend an die Sachen zu verträumen. Melanie und Livianne spielten mit ihren Bauklötzen und Ben trug ich auf dem Arm herum. Als es nichts mehr zu tun gab, setzte sich Tobias hin.
„Und? Wie geht’s so? Neues von Liam?“ Ich sah ihn für die letzte Bemerkung vernichten an. „Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass da nichts ist – nichts sein KANN!“ Er grinste mich nur an. „Okay. Aber wenn es nicht Liam ist, der dein Strahlen vom Gesicht verschwinden liess, wer dann?“ Ich zögerte einen Moment, sollte ich einen Ausweg über Liam machen? Irgendwas erzählen, von einer endgültigen Abfuhr? Nein, dass hatte Liam nicht verdient! Ich zögerte. Ich sah Tobias fragendes Gesicht. „Gibt es irgendjemand dem ich ins Gesicht boxen soll?“ versuchte er es auf eine andere Art. Oh ja! Dachte ich. „Komm schon, Lucy!“ Ich sah ihn an. „Was hat dich so von der Rolle gebracht?“ „Deine Familie scheint es ja nicht gewesen zu sein.“ Und ehe ich bemerkte, dass ich es laut aussprach, sagte ich „Doch.“ Tobias brauchte einen Moment, da er scheinbar mit keiner Antwort gerechnet hat. „Wer?“ Ich drehte mich um. „Ach niemand.“ „Doch. Wer?“ Ich atmete tief durch. „Meine Mutter.“ „Angelika?!“ fragte Tobias perplex. Ich atmete tief ein. „Nein, meine leibliche Mutter: Nataly.“ Obwohl ich immer noch mit dem Rücken zu Tobias stand, merkte ich, dass er verwirrt war. Ich drückte Ben an mich. Da musste ich nun durch! „Sie hat mir Brief hinterlassen, von denen ich dir schon erzählt habe“, meinte ich während ich mich zu Tobias umdrehte. Er sah mich auffordernd an. Ich blickte hinüber zu meinen beiden Mädchen. „... sie hat mir auch ihre Tagebücher überlassen. Sie wollte, dass ich sie eines Tages bekomme. Ich habe sie schon länger, aber erst jetzt gelesen, respektive ein Teil davon nun gelesen.“ Ich machte eine Pause, atmete tief ein. „Manche Einträge liessen mich ihr Handeln verstehen, aber andere verwirrten mich stark.“ „Meinst du, Nataly ist mir böse, wenn du mir weiter erzählst was in den verwirrenden stand?“ Und plötzlich war da ein Ausweg. Licht. Ich könnte fliehen. „Ich glaube...“ Ich schloss die Augen. „Ich weiss es nicht...“ Tobias stand auf. „Okay. Und wenn du es nicht genau sagst, nur so etwa?“ Ich zögerte. Hier war ich nun, an dem Punkt an dem ich die Freundschaft für immer zerstören konnte. Er gab mir die Möglichkeit, es so zu sagen, dass es nicht mehr alles war, aber... „Ach Tobias.“ Ich schlug die Hände vor das Gesicht. Er trat zu mir und legte den Arm um mich. Und in diesem Moment merkte ich, dass ich ihn nicht verlieren wollte. Ihn verlor ich, wenn ich die Wahrheit von ihm weg hielt. „Du darfst es aber ja nicht weiter erzählen.“ „Versprochen.“ Ich überlegte und begann mit dem einfachen. „Der Job von meiner Mutter, sie schreibt immer er sei gefährlich und sie müsse mich und Granddad schützen. Und die Zentral hätte ihr ein neues Jobangebot gemacht. Ich verstehe das nicht, sie war Journalistin und ging für Reisemagazine Hotels testen oder Ferienorte und schrieb dann darüber. Das ist nicht gefährlich!“ „Ach Lucy, vielleicht sah sie das Fliegen als gefährlich an.“ „Kann sein, aber da stand noch mehr...“ „Was?“ Ich zögerte. Nein, dass konnte ich nicht aussprechen, bevor ich nicht weiss, ob es wahr ist oder nicht. „Am letzten Tag hat sie so was rein geschrieben, dass mein ganzes heutiges Leben auf den Kopf stellen würde. Ich weiss nicht ob es wahr ist... Ich will nicht, dass es wahr ist!“ „Kann es dann wahr sein?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Nein, nicht wirklich, aber es steht dort in ihrer Handschrift. Der eine Satz. Ach Tobias, es darf einfach nicht wahr sein!“ Langsam wurde ich richtig wütend auf Nataly. Sie hatte mein Leben schon zerstört, indem sie mich von Catherine trennte und nun, als alles vorbei ist, noch einmal! „Nur ein Satz?“ Ich nickte ja. „Auf der Seite steht nur der eine Satz, der alles verändern würde.“ „Und auf der nächsten Seite?“ Ich sah ihn völlig entgeistert an. „Auf der nächsten Seite?!“ „Ja.“ Ich blickte ihn an. DAS war die Lösung. Wenn Mom weiter gelebt hat, dann muss es eine nächste Seite geben! Warum bin ich nie darauf gekommen? Wenn es keine nächste Seite gibt, dann ist sie tot. „Danke.“ Ich strahlte ihn an. „Bitte. Wollen wir raus gehen, Cate wird bestimmt bald starten.“ Ich nickte, war froh, dass er das Thema fallen liess.
Gut gelaunt ging ich nach draussen. Endlich war sie da, die Lösung. Endlich. Doch je näher ich kam, desto mehr nahm der Schmerz zu. Er wuchs und wuchs und ich hatte das Gefühl, als brenne mein Maul. Verdutzt tastete ich meine Wange ab. Hatte ich mich verletzt? Doch da war nichts. Trotzdem nahm der Schmerz zu. Und dann mischte sich der Schmerz mit Panik mit Angst... Und als mein Blick Elvin auf Navajo traf, viel es mir wie Schuppen von den Augen. Das war Navajo. Ich heftet mein Blick auf ihn, konnte ich es schaffen eine Verbindung mit ihm herzustellen? Und mit jeder Sekunde wurde der Schmerz und die Panik grösser, die Angst und Verwirrung wuchs. Ich versuchte durch zu atmen.
Navajo halte durch! Du schaffst das, alles wird gut.
Versuchte ich ihn zu beruhigen. Doch ich wusste selber nicht, wie alles gut werden sollte. Alle würden mich für verrückt erklären. Alle. Niemand würde mir glauben, dass es sehr viel brauchte, bis ein Pferd so verzweifelt ist, dass es so verzweifelt um Hilfe schrie. Niemand.
„Würdest du das Kreuz höher stellen?“ Bei der Stimme zuckte ich zusammen. Ich wusste nicht einmal genau, ob ich das nun war oder Navajo – aber egal, wir beide hassten Frederik! Mein Vater, der als einzige Person beim Kreuz stand, tat als höre er nichts. „Tim, das Kreuz! Eins höher!“ doch mein Vater reagierte nicht, drehte sich sogar noch ein bisschen mehr und da blickte ich in sein Gesicht. Unsere Blicke kreuzten sich und ich las in seinem Gesicht, dass er es auch fühlte. Das auch er Navajos Gefühl mitbekam und sich deshalb weigerte höher zu stellen. Stattdessen, liess er Cate noch einmal über das tiefe Kreuz kommen. „Wolltest du es nicht höher stellen?“ fragte sie. „Nein, tief ist besser, Carry Me kann springen und soll Energie sparen.“ Cate sah ihn verwirrt an. Doch sie sprang nochmals und nochmals über das kleine. Solange bis Frederik vom Rand her angestapft kam und meinte, dass man nun zu einer vernünftigen Höhe weiter müsse, solche Baby-Sprünge könne man Zuhause üben. Als Elvin mit Navajo angaloppierte und auf den Sprung zu ritt, galt mein Blick ganz Navajo.
Halt durch mein kleiner. Du schaffst das!
Doch es nützte nur wenig, ich zitterte in mir drin. Ich spürte die Schmerzen, die Angst, die Panik... Als ich Cate und Dad dann zum Parcours hinüber begleitet, blieben die Gefühle, auch wenn ich mich entfernte. Wie gerne wäre ich da raus gestürmt und hätte Elvin vom Pferd geholt! Obwohl ich versuchte mich auf Cate zu konzentrieren, gelang es mir nur schlecht. Meine Gedanken waren bei Navajo. Als über Lautsprecher verkündet wurde, dass Cate die neue Bestzeit geritten hat und somit Nummer 1 war, fühlte ich mich mies, ihr Ritt nicht besser beobachtet zu haben. Ich sah auf die Liste: Noch 5 Starter. Elvin auf Navajo war als dritt letzter am Start. Cate ritt glücklich auf Carry Me hinaus. Sie knuddelte sie ganz Doll für ihre Leistung und strahlte übers ganze Gesicht. „Gut gemacht!“ lobte Dad sie. „Danke.“ Cate legte die Abschwitzdecke auf und ritt ihre Stute neben der Halle trocken. Ich wollte wieder rein und stellte mich an die Band neben Angelika, die mit Tobias und den kleinen Kindern von dort aus zugesehen hatten. „Cate war grandios!“ meinte ich. „Ja, ich wäre ihr gerne gratulieren gegangen, aber jetzt war ich noch. Die nächsten fünf werden sie jetzt nicht mehr schlagen!“ antwortete Angelika. „Kommt niemand gutes mehr?“ fragte Tobias. „Doch. Elvin“, meinte Angelika. „Der kann nicht reiten.“ Gab ich als Antwort. Tobias, der vom ganzen Springsport nur wenig Ahnung hatte, sah mich fragend an. „Sein neustes Pferd ist super, aber heute nicht so in Form.“ Angelika sah mich erstaunt und fragend an. „Wie? Ist es verletzt?“ „Jein.“ Ich wusste worauf Angelika raus wollte, aber wie konnte ich das sagen, wenn so viele Leute – Tobias inklusive – rund herum standen. „Nein, nein, äusserlich ist er nicht verletzt. Dad und ich meinten nur, dass er...“, fing ich zögerlich an. „Ach so, du meinst, er ist auch schon mit mehr Schwung gesprungen ist?“ ergänzte Angelika „Genau, die Tagesform. Aber heute scheint die bei ihm nicht gut zu sein“, versuchte ich ihr weiter Hinweise zukommen zu lassen. „Also wohl eventuell doch eine Konkurrenz?“ fragte Tobias. Scheinbar schien er es tatsächlich nicht zu merken. „Ja. Also ich würde mir wünschen, dass er heute nicht startet...“ fing ich den Satz an. Angelika sah mich besorgt an und Tobias, der nichts mitbekam, beendetet meinen Satz mit: „...Haltest ganz zu deiner Schwester! Aber denk an fairplay, Lucy.“
Und dann ritt Elvin auf Navajo ein. Die Schmerzen im Maul wurden unerträglich, es brannte höllisch, ich spürte die Sporen am Bauch, merkte wie er kämpfen wollte, wie er nur ein Ziel hatte: WEG! Ich schloss die Augen. Das was Navajo da erlebte sollte niemand erleben. Ich hatte Probleme die Tränen nicht zurück zu halten und meine Hand zitterte. Angelika, die mich von der Seite betrachtet, legte einen Arm um mich. „Alles wird gut Lucy.“ Ich schüttelte den Kopf. „Doch.“ Ich war so in Gedanke, dass ich nicht einmal realisierte, dass Angelika, das vielleicht nicht nur zu Navajo meinte, sondern auch zu mir. Zu meinem Verhalten der letzten Wochen. Ich spürte, wie die Schmerzen aus dem Maul nun auch schon im Genick anfingen. Ich spüre wie Navajo versuchte die Zunge wegzuziehen, um den Schmerzen zu entkommen. Das erste Hindernis kam und ich spürte die Schmerzen der Peitsche. Verängstigt zog ich meine Beine hoch. Was hatte ich nun schon wieder falsch gemacht? Der nächste Sprung, ich gab mir mehr Mühe, schliesslich wollte ich nicht noch mehr Schmerzen haben, doch die Sporen gruben mir in den Bauch, ich wollte schreien. Ich versuchte das Hindernis zu nehmen, doch es ging nicht. Ich hatte nicht aufgepasst, die Stange viel. Ich spürte wie mein Reiter wütend an den Zügeln zerrte und der Schmerz im Maul grösser wurde. Auch die Sporen drückten stark. Ich wollte weg, nur weg nur einfach ganz weit weg. Ich wollte nicht mehr. Ich konnte nicht mehr. Ein Hindernis kam und ich sprang nicht. Mein Reiter schlug mich hart mit der Peitsche und da sprang ich ängstlich nach oben. Dann spürte ich nur noch Wie ich ins Hindernis krachte, wie schwer Stangen auf mich fielen. Ich bäumte mich auf, mein Reiter lag am Boden, ich sprang zur Seite und rannte los. HILFE! H-I-L-F-E! Ich will hier weg, ich will hier raus!
Ich rannte so schnell ich konnte zur Tür und schlüpfte in die Halle. „Lucy!“ ich hörte Angelikas stimme und erst da realisierte ich, dass dies nicht ich war, dass das alles nur Navajos Gefühle waren. Ich lag nicht im Sprung. Ich sah Navajo der vom Hindernis weg rannte, sah an seinem Bein Blut. Ich sah, wie Frederik und Helene auf den Platz stürmten, Frederik wutentbrannt auf Navajo zu, Helene zu Elvin. Doch Elvin stand schon alleine auf. „Mist Vieh, elendes Mist Vieh“, schimpfte er. Ich sah wie Navajo um das Hindernis herum zur andern Hallenseite preschte und sich dort stehen blieb. Seine Nüstern bebten, er zitterte. Frederik rannte auf ihn zu, drei Helfer des Turniers betraten die Halle. Sie rahmten den Wallach ein. Doch noch ehe es passierte, wusste ich, dass er sich so einfach nicht mehr einfangen liess. Als er realisierte, was die Absicht, der Menschen ist, flüchtete er und rannte dabei fast Frederik um, der sich ihm in den Weg stellte. Ängstlich sah Navajo umher. Seine Nüstern weit, seine Angst in seinen Augen lesbar. Sein ganzer Körper war bis zur letzten Muskelfaser auf Flucht eingestellt. Doch er konnte nicht raus. Ich spürte wieder die Angst von Navajo und gemischt mit stechendem Schmerz im rechten Vorderbein. Am rechten Vorderbei lief Blut runter. Nein, das war zu viel. Nun war ich in der Mitte zwischen beiden Parteien. In der linken Hallenhälfte die Turnierhelfer und Frederik, rechts Navajo und gleich neben mir beim Sprung Elvin und Helene.
„Nun ist genug. Frederik kann noch lange sagen, dass Pferd sein zu teuer gewesen, aber nun kommt er in die Metzg. Das war nicht das erste Mal, in dem er einen Menschen hätte töten können. Er ist zu gefährlich“, meinte Helene zu Elvin. Wie konnte sie nur! Navajo war so geworden wegen ihnen! Die vier Männer kamen durch die Halle auf mich und Navajo zu. „Lucinda, raus mit dir. Der Wallach ist gefährlich“, brüllte Frederik mich an. Ich schüttelte den Kopf. „RAUS!“ befahl er. Er stampfte auf mich zu. Wollte mich am Arm packen. „Lass mich in Ruhe!“ rief ich und sah ihn zornig an. Ich sah nicht, wie die Turnierhelfer auf Navajo zu liefen. Doch ich merkte es, indem das Panikgefühl wuchs. Ich drehte mich um. „Bleibt stehen, geht weg von ihm!“ schrie ich. „Ich mach das.“ Sie sahen mich entgeistert an. Navajo jagte quer durch die Halle davon.
Ruhig, Navajo, Ruhig. Alles wird gut.
Ich sah ihn eindringlich an. Während er ängstlich wieder in die Ecke getrieben wurde von den drei Männern und er erneut flüchtete.
Wir sind auf derselben Seite, Navajo. Wir gegen sie.
Während ich mich auf den Wallach konzentrierte, packte mich Frederik von hinten. Und wollte mich aus der Halle schleppen. „Fängt das Vieh ein“, ordnete er an. Ich schlug um mich, versuchte meinen Grossvater, den ich hasste, zu treten. Nicht um ihn zu verletzten, einfach um Navajo zu helfen. Ich wehrte mich, wie Navajo sich gegen Elvin in all den letzten Turnieren gewehrt hatte. Plötzlich hörte ich eine bekannte Stimme. „Lassen sie meine Tochter los. SOFORT!“ Ich spürte, wie Angelika sich wütend vor Frederik aufbaute. Als er nicht sofort reagierte, packte sie ihn am Arm und löste seine Hand um mein Handgelenk. „Damit es klar ist, so was machen sie nie mehr wieder. Nie“, sprach Angelika eindringlich auf Frederik ein. „Sie könnten mir danke sagen, ich wollte bloss meine Enkeltochter retten.“ „Lucy, kann ganz gut auf sich selber aufpassen.“ „Das Vieh wird sie umbringen! Aber mir soll es recht sein. Dann kann ich ihn gleich hier töten lassen und muss ihn nicht noch zum Metzer bringen“ Ich hörte die Worte. Drehte mich um. „Er wird nicht getötet. Ich nehme Navajo.“ Sagte ich zu meinem Grossvater. „Du glaubst ich schenke dir so ein gutes Pferd? Weisst du was er mich gekostet hat? Der Schlachtpreis ist da ein kleiner Trost.“ „Ich gebe dir das Doppelte.“ „Damit du überall herumerzählen kannst, was für ein Halsabschneider ich sei? Nein. Für den Schlachtpreis kannst du ihn haben.“ „Gut“ Ich machte einen Schritt auf ihn zu und entgegnete den Handschlag. Frederik drehte sich um. „Helene, Elvin, kommt ihr? Das Mistvieh ist nicht mehr unser Problem!“ Verwirrt sahen sie ihn an, aber folgten ihm aus der Halle. Ich sah ihnen nach und schluckte. Angelika stand sprachlos neben mir. Ich atmete tief ein, drehte mich um. Die Turnierhelfer standen ratlos in der Halle. Sie hatten das Geschehen beobachtet, während sie weiter versucht hatten den Wallach in eine enge zu treiben, was ihnen aber nicht gelang. Navajo galoppierte immer von einer Seite zur andern. „Ich kann ihn alleine einfangen, bauen sie den Sprung wieder auf“, meinte ich zu ihnen. „Sind sie ganz sicher?“ „Ja.“
Navajo rannte gerade wieder panisch quer durch die Halle. Fest atmend blieb er in einer Ecke stehen. Ich ging langsam auf Navajo zu. Immer wenn ich merkte, dass sein Gefühl von Panik grösser wurde blieb ich stehen, bis es wieder abflaute. So arbeitete ich mich rund 10 Meter vor, doch bis zu ihm war es noch ein langer weg...
Hör mir zu Navajo. Ich glaube ich habe jetzt gerade das dümmste in meinem Leben gemacht, aber eines kann ich dir versprechen. Du wirst nie mehr so behandelt werden. Nie mehr.
Er sah mich lange an.
Navajo ich habe für dich gekämpft. Nun musst du mir zeigen, dass es sich gelohnt hat. Komm, Navajo, wir sind im selben Team. Du musst keine Angst haben.
Mit hochgerissenem Kopf stand er da. Er sah mich ängstlich an. Seine Nüstern beten, sein Atem ging schnell. Doch er sprang nicht weg. Ich machte einen weiteren Schritt auf ihn zu. Die Turnierhelfer trugen eine Stange raus und schlugen dabei an der Bande an. Navajo sprintete darauf hin wieder los. Doch da auf der andern Seite die drei Männer waren rannte er fast eine ganze Runde und stellte sich dann in die andere Ecke auf meiner Hallenhälfte. Seine Flanken hoben und senkten sich schnell. Und dann ging alles sehr schnell. Ich sah wie Navajo einknickt, er sich aber wieder fing. Doch gleich darauf knickte er nochmals ein und fiel zur Seite in den Sand. Ich lief auf ihn zu.
Navajo ganz ruhig. Ganz ruhig.
Ich hoffte, das alles gut ging. Ich drehte mich. Angelika stand rund 15 Meter hinter mir. „Komm, wir müssen es versuchen, du musst ihm helfen“ Sie nickte. Und schloss langsam auf. So schnell es ging, schritten wir auf den Wallach zu. Ich merkte wie seine Angst grösser wurde und sprach ihm einfach immer mehr beruhigende Worte zu. Er musste Angelika und mich hin lassen, es war die einzige Möglichkeit. Und dann waren wir da. Ich kniete mich zum Wallach hin. Zieh ihm die Trense aus, ordnete Angelika an. Doch als ich meine Hand in Richtung seines Kopfes bewegte, riss er denn schnell weg.
Ich mach dir nichts, versprochen. Wir wollen dir nur helfen.
Ich versuchte es erneut, diesmal langsamer. Ich schaffte es die Riemen zu öffnen und zog ihm das Zaumzeug ab. Am Gebiss war Blut und auch an seiner Lippe sah ich welches. „Gut so“ meinte Angelika und kam nun auch noch den letzten Meter hin zu ihm. Navajo wollte aufspringen, doch ich versuchte ihn zu beruhigen.
Das ist nur Angelika, sie macht dir nichts, sie hilft. Ich vertraue ihr, du kannst das auch!
Angelika nahm sein Kopf und legte ihn so, dass der Atemweg frei war. Sie kontrollierte seine Zunge, damit die nicht schräg im Maul lag. „Lucy, zieh im den Sattel ab, damit er besser atmen kann. Gurtöffnen reicht auch schon.“ Ich nickte und begab mich vorsichtig zu Navajos Rücken hin. Ich griff von oben zum Gurt und als ich ihn lösen wollte, da sah ich eine weitere Blutspur, da wo Elvin seine Sporen gehabt hat. Neben der offenen Wunde sah ich zahlreiche Narben. Ich schluckte, nahm und öffnete den Gurt. Ich hatte einige Mühe, dar er sehr stark angezogen war. „So jetzt kannst du wieder atmen“, meinte Angelika, die immer noch seinen Kopf hielt. „Er ist vermutlich zusammengebrochen, weil er zu wenig Luft bekam und wegen den Schmerzen, als das Adrenalin langsam nach liess.“ „Gute Prognose“ hörte ich eine tiefe Männerstimme. Angelika und ich sahen zum Halleneingang. Der am Turnier anwesende Tierarzt kam. Er wollte hin zu Navajo, doch dieser wollte aufspringen, da er der Person nicht traute. „Stehenbleiben“, rief ich und Angelika gleichzeitig. „Lucy, komm und halten seinen Kopf“, meinte Angelika und ging dann zum Tierarzt rüber. „Angelika Meyer. Bin auch Tierärztin, aber im Moment arbeite ich nicht.“ „Ah in dem Fall ist der Wallach schon in besten Händen.“ „Sein Kreislauf hat schlapp gemacht, weil er zu wenig Luft hatte und das ganze panische hin und her rennen ihn zu viel Energie gekostet hat. Er hat einige offene Wunden im Maul und am Bauch von den Sporen. Das Vorderbein sieht nicht gut aus: Hat Sand und Holzsplitter in der Wunde, aber Knochen scheinen keine beschädigt zu sein. Seit er liegt und Sattel und Zaumzeug weg ist, hat sich sein Kreislauf aber gehalten. Aber wir müssen schauen, dass nicht doch noch völlig kollabiert...“ Der Tierarzt nickte. „Wollen sie? Er vertraut ihnen bereits ein bisschen.“ Und hielt Angelika seine Tasche hin. Sie nickte.
Eigentlich ganz gut. Klar hier und da gibt es Dinge die weniger toll sind oder eben stressig (Ich komme ja auch aktuell nicht so viel zum Beri schrieben wie ich gerne würde). Aber allem in allem kann ich mich nicht beklagen. :D
So hier Teil 3. Leider 13 Seiten - ich weiss ich hätte da schon früher einen Schnitt machen müssen, aber es ging irgendwie nicht... Entschuldigung. Ist eine Ausnahme. So nun viel Spass.
Nr. 47 - All it takes is a second and your whole life can get turned upside down (Teil 4)
Ich hörte Stimmen draussen und ich spürte ein schwaches pochen an meiner Stirn. Sofort kam mir der ganze gestrige Abend wieder in den Sinn. Alles. Und dann hörte ich draussen, wie Dad Cate Anweisungen gab. Es ging zum Abreiten. Ich streckte mich und stand auf. Sah hinaus. Angelika stand mit Ben auf dem Arm vor dem Hänger und neben sich der Kinderwagen, in dem Livianne und Melanie sassen und fasziniert mit einem Teddybären spielten. Ich schlüpfte in das Gestüt Silvermoon T-Shirt und den dazugehörigen Pullover mit meinem Namen drauf, der irgendwer für mich eingepackt und nun bereitgelegt haben musste, den eingepackt hatte ich werde das eine noch das andere. Dann zog ich meine Jeans an. Ich wollte gerade die Tür öffnen, als ich draussen Angelika mit Dad sprechen hörte. „Ich denke es ist einfach ein bisschen viel für sie. Auch wenn sie es bis jetzt gut meistert... Wir sind zu zweit und kümmern uns nur um Ben. Bei ihr ist es umgekehrt. Vielleicht braucht sie nur mal ein bisschen Zeit für sich.“ „Bist du sicher?“ meinte Dad. „Nein. Aber, die Twins sind zwar verglichen mit Benjamin wirklich zwei Engel, aber es ist doch viel Arbeit und sie hat noch die Pferde, ihr Job...“ Dad nickte, doch ich sah seine gerunzelte Stirn. „Ich hoffe nun einfach es ist wirklich so, weil...“ „Weil was?“ fragte Angelika. „Ihr Blick, er wirkt so verloren, so verstört wie damals...“ meinte Dad abwesend. Angelika sah in fragend an. „Als sie kam.“ Angelika nickte. „Ich mag Colin ja, aber er wusste ja von dir, ihr hatte ja Kontakt. Warum um alles in der Welt hat er sie damals alleingelassen?“ „Das hat Colin nicht.“ „Ist sie alleine vor deiner Tür gestanden oder nicht?“ „Lucy musste ihren weg gehen, das hat Colin besser verstanden als irgendwer sonst. Sie musste ihr Tempo gehen. Sie muss die Dinge mit sich selber ausmachen, selbst...“ Dad fuhr mit der Hand durch sein Haar. „Auch wenn sie gerne Menschen um sich haben kann, so ist sie eine Einzelgängerin, genau wie Cate oder wie Nataly...“ Angelika sah ihn von der Seite aus an. „Ich hätte ihr beigestanden.“ Dad drehte sich zu ihr um. Sah sie lange an. „Angelika... Cate und Lucy haben dich wirklich gerne, aber ich glaube da kennst du sie noch nicht gut genug. Oder besser gesagt du hast Nataly nicht gekannt. Cate und besonders Lucy ist diesbezüglich eine Kopie von ihr. Sie brauchen die Menschen um sich, doch sie ist gelichzeitig auch eine Einzelgängerin... Sie muss die Dinge erst einmal für sich klären. Man kann dabei nur wegwesend dabei sein, aber wirklich eingreifen. Den Fehler darf man nicht machen. Den begehe ich nicht noch einmal.“ Angelika schwieg lange. „Nataly?“ Dad drehte sich zu ihr um. Er sah sie lange an und nickte dann zögerlich. Benjamin begann zu quengeln und so wendete Angelika den Blick von Dad ab. „Oh es ist Zeit, wir müssen Cate helfen gehen. Nimmst du ihn, dann kann ich den Wagen mit den Twins nehmen?“ meinte Angelika. Dad nickte. „Hat sie gestern irgendwas gesagt?“ „Wer?“ „Lucy.“ Angelika schüttelt den Kopf. Dad nickte niedergeschlagen. „Dann wohl doch“ Angelika sah ihn fragend an. „Wenn sie einfach nur ein bisschen müde wäre von den langen Tagen mit den Twins, dann hätte sie das gesagt.“ Angelika küsste ihn auf die Wange. „Nun mach dir mal nicht so viele Sorgen.“ Sie gingen weg. Noch lange sah ich ihnen nach. Wütend drehte ich mich um, verdammt, war ich so durchschaubar? Dads Worte hatten mich getroffen. Er wusste was los war, aber.... Und dann war es plötzlich wieder da.
03.03.2012, 8:03 Ich habe den Unfall überlebt!!!
Verdammt, Lucy! Jetzt sei mal realistisch! Schimpfe ich mit mir selber. Mom ist tot, es kann gar nicht anders sein. Es geht nicht. Genervt stiess ich die Tür auf und machte mich auf den Weg den andern hinter her zum Abreitplatz. Ich sah wie Cate ein Sprung auf dem Abreitplatz nahm. Sie flog über den Sprung und landete perfekt. Dad stellte ihn höher während sie eine Volte trabte. Ich stellte mich zu Angelika an den Zaun. Ich hatte ein schlechtes Gewissen wegen der letzten Nacht und so nahm ich ihr Ben ab. Mein kleiner Bruder klammerte sich an mich und er war irgendwie mein Anker.
„Schau Benjamin, gleich müssen wir unserer Schwester fest die Daumen drücken.“ Meinte ich zu ihm. Doch er klammert sich bloss an mich fest. Angelika lächelte uns an. Ich lächelte zurück und mein Blick viel auf Melanie Colleen die sich aufgesetzt hatte und ihrer Rassel durch die Luft schwenkte. Ihre Schwester schlief noch. Mittlerweile hatte sie ihre Schwester in der Körpergrösse schon fast aufgeholt, meine anfangs so kleine Livianne Nataly. Ich stockte. NEIN, ermahnte ich mich. Nicht!
Ich konzentrierte mich auf den Turnierplatz.
Er Tag verging. Irgendwie.
Als wir Zuhause ankamen, war es schon dunkel. Ich half die Pferde ausladen. Zoey kam mir entgegen und freute sich, mich zu sehen. Ich bückte mich und die Hündin sprang um mich herum. Gemeinsam gingen wir zwischen den Weiden durch hinüber zum Haus. Angelika am gerade von oben herunter. „Die Twins schlafen schon.“ Ich nickte. „Danke.“ War sie auch in meinem Zimmer? Hat sie das Tagebuch gesehen? So wie sie sich verhielt wohl nicht... Ich ging nach oben. Vor meiner Zimmertür stand meine Tasche. In dem Fall wohl noch nicht. Ich öffnete die Tür, schaltete das Licht an. Das Heft lag immer noch in der Mitte des Raumes. Ich starrte das offene Heft an, auf dessen rechter Seite ganz oben der letzte Eintrag stand:
03.03.2012, 8:03 Ich habe den Unfall überlebt!!!
Sofort fing mein Hirn wieder an zu denken. Lucy, nein, ermahnte ich mich. Es kann nicht sein, du hast dich da in was reingesteigert und kommst nicht mehr raus! Wüstend packte ich das Heft und warf es in den Kasten. Ich ging hinüber, deckte Liv und Mel nochmals sorgfältig zu, ehe ich mich dann auch hinlegte. Ich hörte leise Hundetapse auf der Treppe und sah dann ein Hundekopf in meiner Tür, der zu Zoey gehörte. Sie kam zu mir, leckte mir das Gesicht, als spürte sie, wie aufgewühlt ich war. Immer wieder versuchte sie aufs Bett rauf zu kommen, ehe ich es schliesslich duldete. Nur für ein Mal, nahm ich mir vor. Aber irgendwie war es schon tröstlich ihren warmen Hundekörper an meinem Fussende zu wissen...
Die Tag vergingen einer wie der andere. Morgens stand ich auf, kümmerte mich um meine Twins ehe ich ins Reisebüro arbeiten ging. Über Mittag ging ich auf den Hof und ritt Madonna und kümmerte mich um Tirina. Es war die einzige Möglichkeit irgendwie auf dem Hof zu sein, ohne gleich noch eine ganze Schaar Reiter um mich zu haben. Die vertrug ich einfach nicht, denn mit Gedanken war ich wo ganz anders. Immer wieder musste ich mich selber zusammennehmen und mir vor Augen halten, das es nicht wahr sein konnte. Dieses Tagebuch machte mich verrückt! Tirina fragte anfangs immer noch, ob ich reden möchte. Doch mit der Zeit, merkte sie, dass ich nicht wollte. Ich durfte andern dieses Hirngespinst nicht auch noch in den Kopf setzen und sie damit verrückt machen! Tirina sah mich nur noch lange an, doch sie sprach nicht mehr mit mir. Ich vermisste unsere kleinen belanglosen Gespräche... Ich war richtig froh, dass Sammy sich lieben gerne um meine Stute kümmert. So musst ich nicht ganz so viel Zeit mit ihr verbringen und ihrer vorwurfsvoller Blick ertragen. Lisa haben ich hin und wieder auch am Mittag angeroffen. Sie meinte, dass ich nur ja nicht krank werden solle. Ich müsse mich ein bisschen schonen, ich sei blasser als sonst. Wenn Lisa das schon merkte, die ich nur hin und wieder im Stall antraf, dann...? Logisch merkte Dad es auch, doch er sprach mich nicht darauf an. Er bestand lediglich hin und wieder darauf mit mir auszureiten. Das war seine Möglichkeit mir eine Chance zu geben mit ihm zu Reden, wenn ich wollte. Doch ich konnte nicht. Ich durfte nicht. Zum Teufel nur, weil mir ein völlig gestörtes Hirngespinst im Kopf eingenistet hatte, musste ich nicht alle um mich damit verrückt machen. Damit belästigen. Ich musste selbst ein Weg finden es wieder los zu werden!
Und dann war auch schon wieder Wochenende. Dad blieb auf dem Gestüt, aber Cate und Ricky gingen mit Max aufs Turnier. Beide starteten nur einmal und am selben Tag. so fuhren wir am Morgen hin und am Abend wieder heim. Dad bestand darauf, dass ich mit fuhr. Warum, dass verstand ich nicht. Blöderweise war Liam und Marelle auch dort. Marelle startete und Liam half ihr. So musste ich noch mit ihm Konversation führen, wonach mir gar nicht zu mutet war, auch wenn mein Herz doppelt so schnell schlug wenn ich in seiner Nähe war.
Dann brach die nächste Woche an. Wenn ich nicht am Arbeiten war, dann Ritt ich Madonna und versuchte neue schwere Dressurelemente, die meine volle Konzentration forderten, sodass ich keine Chance hatte zu grübeln und mich verrückt zu machen. Sammy unternahm oft mit Tirina Spaziergänge im Schritt. Anfangs nur kleine, mit der Zeit auch grössere. Einmal ging ich auch mit Tirina auf einen Spaziergang, aber sie hat mir die ganze Zeit klargemacht, wie sehr sie mich verachtet, weil ich nicht mit ihr sprach! Ihr Blick durchbohrte mich. Ich konnte in ihren Augen lesen, was sie über mich dachte. Ich habe dir damals auch vertraut und du hast mir dabei geholfen wieder ins Leben zu finden. Warum lässt du mich nun nicht dir helfen? Vertraust du mir nicht? Wie konnte ich ihr sagen, dass ich einfach alle, die ich liebte damit nicht belasten wollte? Sie würde das nicht verstehen...
Dad unternahm immer noch oft mit mir Ausritte. Wir schwiegen zwar oft, aber langsam genoss ich die Zeit mit ihm im Wald. Viel zu selten unternehmen nur wir beide etwas. Ich liebte meine grosse Familie, aber so was kam im Alltag einfach viel zu kurz. Wenn wir redeten, dann sprachen wir über Gott und die Welt, aber nicht über das Thema, dass er hören wollte, obwohl er nicht wusste was es war. Doch im Unterschied zu Tirina spürte ich bei ihm keine Vorwürfe, dass ich dieses Thema nicht ansprach.
Die Stunden, die Tage und die Wochen zogen so an mir vorbei. Meistens schaffte ich es die Gedanken aus meinem Hirn zu verbannen, aber nicht immer. Ich sah die Sorgenfalt auf Angelikas Gesicht, weil ich immer so nachdenklich war und mich zurück zog, ich sah Dads fragender Blick...
Das nächste Wochenende kam und dieses Mal startete doch tatsächlich weder Dad, noch Cate noch sonst ein Pferd von Dad mit einem seiner Angestellten. Doch Natascha hatte Impo an ein Turnier in der nähe gemeldet. Sein erstes. Es war ein kleines um ihn an die Turnieratmosphäre zu gewöhnen. Cate versprach ihr, dass sie mit kommen würde und Natascha freute sich. Da Mike an diesem Wochenende auch frei hatte, kam er auch mit. Cate freute sich riesige. Sie und Mike waren nun schon einige Zeit zusammen, aber zum Glück waren sie nicht eines von diesen Pärchen, die in jeder freien Minute zusammen klebten. Sie unternahmen zwar oft etwas zusammen, aber trotzdem hatte jeder von ihnen noch sein eigenes Leben. Zum Glück, denn ich hätte Mike, auch wenn ich ihn mochte, Cate nicht einfach so abgetreten. Ich wollte auch noch was von meiner Schwester, genau wie Natascha, Marelle und ihre Pferde Carry me und Farolina. Nicht zuletzt wollte auch Dad, als Vater und Arbeitsgeber, etwas von ihr. Obwohl Mike nicht viel von Pferden verstand, gab er sich Mühe in dieser fremden Welt zu recht zu kommen. Und ja, Cate hatten ihn auch schon auf Carry Me gesetzt. Er hatte sich ganz wacker geschlagen. Als mein Vater erfuhr, dass Mike, Natascha und Cate zusammen fuhren, meinte er, ob ich nicht auch mit wollte. Wäre doch bestimmt ein schöner Tag zu viert unter Gleichalterigen. Und so ging ich die dritte Woche in folge aufs Turnier. Am Sonntag hätte ich wohl endlich einmal einen Tag für mich gehabt, aber da Impo so super gelaufen ist – Natascha und Impo wurden platziert – wollten die drei das feiern und so sind wir bis ins früher Morgengrauen in der Disco gewesen. Als ich dann endlich aufwachte, war die Sonne schon hoch am Himmel. Liv und Mel forderten meine Aufmerksamkeit und ich kam nicht einmal dazu Madonna zu reiten, zum Glück wusste ich aber, dass sie auf die grosse Weide durfte 12h am Tag und so brauchte ich kein schlechtes Gewissen zu haben. Und dann brach eine neu Woche an mit Arbeit, Zwillingen, Reiten, Ausritten mit Dad, Kaffeetrinken mit Angelika – ihre Art mir eine Chance zu geben um zu reden – und vielem mehr.
Das vierte Wochenende brach an. Ich hatte mich darauf gefreut, denn Tobias sollte endlich einmal wieder in der Nähe sein. Doch dann musste er kurzfristig absagen... Stattdessen hatte ich zeit zum Grübeln. Ich versuchte mit allen Mitteln mein Hirngespinst zu vergessen, aber es ging nicht. Immer wieder tauchten die Worte aus dem Tagebuch auf:
03.03.2012, 8:03 Ich habe den Unfall überlebt!!!
Am Sonntag schleifte mich dann meine Familie wieder mit aufs Turnier. Es war nicht weit weg, aber etwas doppelt so gross wie die andern. Dad ritt mit verschiedenen Pferden Dressurprüfungen. Am Tag davor war Springen gewesen. Natascha, die Dressur liebte wie Dad, startet wieder mit Impo. Da aber so viel Tumult herrschte war Impo nicht konzentriert und sie waren nicht ganz so gut wie beim ersten Mal.
Die nächste Woche brach an und mittlerweile hatte ich mein Leben schon ziemlich gut im Griff. Ich hatte alles so organisiert, dass ich nie zeit zum Grübeln blieb. Ich lenkte mich immer irgendwie ab. Am Besten ging das mit den Twins, aber auch die Arbeit oder die Turnierbesuche am Wochenende taten ihren Dienst.
Der Oktober war längst rum und wir waren mitten im November. Am nächsten Wochenende -das fünfte - ging keiner vom Silvermoon Team auf ein Turnier. Und das für ganze 2 Wochenenden! Am letzten Novemberwochenende waren Dad und Natascha waren beide für eine Dressurprüfung in der Halle angemeldet. Dad mit einem Youngster, Natascha wollte mit Impo noch ein drittes Turnier und letztes Turnier in dieser Saison bestreiten. Aber bis da hin ging es noch eine Weile. An diesem Wochenende kamen uns Angelikas Grosseltern besuchen. Gustav und Elia waren nicht wie Tims Eltern. Beide waren in unserm Haus immer willkommen und besonders rührend fand ich, wie Elia zwischen Livianne, Melanie und Benjamin keinen Unterschied machte. Mit den beiden grösseren Mädchen, die mittlerweile schon 10 Monate alte waren – wie die Zeit schnell verging! -, brachte sie Bauklötze mit. Zwar verstanden meine Twins noch nicht was sie damit machen sollten, aber sie hatten ihre Freude daran die Klötze in die Hand zu nehmen und dann zusammenzuschlagen. Der Klang, der dabei entstand, zauberte ihnen ein Lächeln aufs Gesicht. Ben hingegen, sah dem treiben nur mit grossen staunenden Augen zu und drückte sein Stoffhase fest an sich. Der Stoffhase schleppte er nun schon ständig mit sich rum und wehe man kam auf die fatale Idee, meinen kleinen Bruder und sein Hase zu trennen...
Es wurde wieder Wochenende. Eigentlich wäre dieses Wochenende ja frei gewesen, aber Cate ging kurz entschlossen doch noch ans Turnier. Ich für meinen Teil glaubte ja, sie macht das, weil sie gehört hat, das Elvin Ottmann, der aus dem Stall von meinen ach-so-lieben-Grosseltern stammte, da auch startete und sie im letzten Turnier doch tatsächlich von ihm geschlagen wurde! Ihre Ehre lies dies wohl nicht zu. Elvin hatte ein neues Pferd, erst seit ein paar Wochen und es wurde darüber gesprochen wie viel Geld die Davids wohl früh ihn ausgegeben haben. Navajo hiess der Wallach. Er war ein sehr hübsches Tier, ein Rappe mit einem kleinen Stern. Und er war gut trainiert, dass sah man ihm an. Und springen konnte er wie der Teufel! Mit Navajo hatte Elvin Cate auf Carry Me doch tatsächlich geschlagen. Aber wenn ihr mich fragt, hatte nur Navajo Cate mit Carry Me geschlagen, denn Elvin hatten nur begrenzt beim Sieg mitgeholfen. Er hatte mehr gegen Navajo gekämpft als ihn unterstützt. Navajo war ein Pferd, das selber springen konnte. Man brauchte ihn fast nicht zu führen. Doch Elvin hat versucht unter allen umständen, Navajo diese Freiheit nicht zu geben. Navajo tat mir schon nach dem ersten Ritt den ich sah sehr leid. Armes Tier, der Wallach schien nämlich wirklich viel Spass am Springen zu haben, aber so... Wie lange er die Freude wohl noch haben würde? Da niemand mit Cate zum Turnier fahren konnte, so kurzfristig, musste ich mit. So kam es, dass wir am zweitletzten Novemberwochenende zusammen mit Carry Me im Hänger über die Autobahn fuhren. Und somit war doch nichts mit einem freien Wochenende... Ich machte mich auf den Turnier nützlich wo immer es nur ging, einfach um bloss keine Zeit zum grübeln zu haben. Es war schlimm. Ich hätte die Twins mitnehmen müssen, denn wenn ich mit ihnen zusammen war, verlangten sie meine ganze Konzentration. Sie verbannten alle meinen andern Gedanken aus meinem Hirn und ich genoss die Minuten in denen die Welt nur aus uns drei bestand. Ohne Sorgen, ohne Ängste, ohne morgen, ohne gestern... Kurz nach dem Mittag ritt Liam in den Parcours ein. Bis jetzt hatte ich ihn noch gar nicht gesehen. Er sprang gut und konzentriert über die Hindernisse, aber nicht mit der Geschwindigkeit, die Cate oder Marelle drauf hatten. Er blieb fehlerfrei, aber die Zeit war für die Spitze zu hoch. Lächelnd ritt er vom Platz und knuddelte sein Pferd ausgiebig. Zwei Stunden später ritt Cate ein. Elvin hatte auf Navajo eine wirklich gute Zeit fehlerfrei hinbekommen, obwohl ich nie gedacht hätte, dass sie fehlerfrei blieben. Navajo war in Topform als sie einritten. Doch Elvin kämpfte wieder gegen ihn an, gab ihm die Freiheit nicht, die der Hengst brauchte. Es war ein Wunder, wie Navajo es immer und immer wieder schaffte, doch noch über den Sprung zu kommen. Manchmal senkrecht. Alle Zuschauer waren totenstill und verfolgten die Sache. Elvin störte Navajo in seinem Rhythmus viel zu stark. Die beiden kämpften miteinander und doch gelang es ihnen – dank Navajos super Sprungkraft und der Freude am Springen, - eine fehlerfrei Runde hin zu legen in einer relativ guten Zeit. Doch meine Grosseltern und Elvin sahen das nicht so. Sie fanden Navajos Leistung inakzeptabel, dabei hat der Wallach doch wirklich alles getan! Elvin hätte sich ja praktisch nur auf seinen Rücken setzen müssen und Navajo hätte alles andere übernommen! Aber nein, er musste den Wallach ja stören und ihm keine Freiheit lassen. Trotzdem hatte der Wallach alles versucht um über das Hindernis zu kommen... Armer Navajo. Doch für Cate und Carry Me war es nun einfacher Elvin zu schlagen. Das tat sie dann auch, um längen. Nur Marelle auf Unido war leider noch besser.
Später als Cate Carry Me trocken ritt gesellt sich Marelle zu mir. „Hast du Liams Ritt gesehen?“ „Ja. Ich fand es gut. “ „Er hätte viel schneller reiten können, aber naja... Er hat wenig Übung, aber selber Schuld wenn er nur wenige Turniere geht.“ „Ich würde weniger Turniere auch bevorzugen.“ „Für mich wäre das nichts, aber du und Liam versteht auch ja auch sonst gut. Oder?“ sieh sah mich fragend an. Ich zuckte mit den Schultern. „Das kannst du mir nun nicht bringen. Da läuft doch etwas zwischen euch. Er streitet es zwar ab, aber so wie er dich ansieht, glaube ich ihm das nicht.“ Mir stockte der Atem. War das wahr, was Marelle da sagte? Aber das ist ja ganz egal Lucy, sagte ich mir. Zwischen euch kann nie was werden. ER wird immer zwischen euch stehen. Wie damals... Das wird sich nicht plötzlich ändern. „Kann ich dein Schweigen als ja interpretieren?“ „Nein!“ meinte ich schnell. „Da läuft nichts.“ „Okay, okay. Aber Interesse hättest du schon?“ Verlegen sah ich weg. „Was wird das jetzt? Ein Verkupplungsaktion, bei der die beste Freundin meiner Schwester mich mit ihrem Bruder zusammen bringen will?“ Marelle lachte. „Nein, weißt du, eigentlich dachte ich und Cate, dann würdet ihr beide euch vielleicht auf Turnieren nicht mehr so langweilen...“ scherzte sie. „Nein, jetzt mal ganz im Ernst. Man müsste blind sein, wenn man ihn kennt und sein Blick nicht interpretieren könnte, wenn er dich ansieht.“ Ich wusste nicht was ich sagen sollte, also schwieg ich. Das war auch eine ganz Komische Situation. „Meine Eltern scherzen sogar schon im Geheimen, wie lange es noch geht bis er seinen Mut endlich zusammen nimmt. Bei Felicitas Bauer – auch so eine Turnierwild wie ich und Cate, du hast sie bestimmt auch schon mal gesehen – war er überhaupt nicht so schüchtern.“ Nun ging mir das Gespräch langsam echt auf den Kecks. Liam und ich konnten nicht zusammen sein...! „Was geht mich das an?“ fragte ich Marelle genervt. „äh...“ stottert sie. „Ich dachte es interessiert dich vielleicht....“ „Tut es mich aber nicht.“ „Du interessierst dich als wirklich nicht für Liam?“ Was sollte ich sagen? „Marelle, er ist der Bruder der besten Freundin meiner Schwester!“ „Ja und? Mir wäre es egal. Und übrigens bin ich die allerbeste Turnierfreundin, ABTF. Natascha ist Cate allerbeste Freundin und deswegen ist es überhaupt kein Problem.“ „ABTF?“ „Ja, schliesslich kann man nicht zwei ABF haben. Stammt noch aus der Zeit als Cate, Naty und ich ganz klein waren.“ Ich lachte. „Also nur damit du es weisst, Cate fände es okay und ich auch.“ Ich wollte gerade entgeistert antworten ‚Ihr redet über mich und Liam?’ als Marelle sich umdrehte und davon lief. Auf dieser Heimfahrt hatte ich etwas neues, worüber ich grübeln konnte. Liam.
Doch es hielt nicht lange an. Als ich spät Abends mit Cate Heim kam und mir noch etwas zu Essen aus der Küche holte, lief ich am Bild meiner Mutter vorbei, dass früher auf dem Schreibtisch meines Vaters gestanden hat. Mein Magen zog sich zusammen. Schnell setzte ich mich und zwang mich an etwas ganz anderes zu denken.
Es war Dienstag vor dem letzten Novemberwochenende an dem Dad und Natascha ans Dressurturnier gehen wollten. Max meinte, er müsse etwas abholen gehen in der Stadt und ich müsse mit. Doch als ich dann das Haus erkannte war ich verwirrt. Was tun wir hier? Es war das Haus in dem Louise Karlmann mit ihrem neuen Mann und ihrem Sohn Noah Bischoff wohnten – Maxs Sohn.
„Max, was tun wir hier? Wollten wir nicht in die Stadt?“ „Ich gehe in die Stadt und du stattest Louise einen Besuch ab.“ „Warum?“ „Warum nicht?“ konterte Max. Ich sah in an. „Und was ist der wahre Grund?“ „Nun geh schon, Louise erwartete dich. Ich hole dich in einer halben Stunde wieder.“ Ich sah ihn fragend an, aber da er nicht mehr antwortete, schnallte ich mich los und stieg aus. „Bis später“ murrte ich und lief auf das Haus zu. Louise Karlmann, die unser Auto gesehen hat, öffnete mir die Tür.
„Hallo Lucy.“ „Guten Tag Frau Karlmann.“ „Komm rein.“
Ich wurde ins Wohnzimmer geführt und ich fragte mich immer noch, warum ich hier war. Ich setzte mich und mein Blick viel auf ein Foto von Noah als kleiner Knabe mit dem Basketball in der Hand. Da ich das Schweigen nicht mehr aushielt, meinte ich. „Ich danke ihnen, dass sie damals mit Noah gesprochen haben und er gekommen ist.“ „Ich halte meine Versprechen normalerweise. Möchtest du einen Tee oder lieber Kaffee?“ „Tee ist gut.“ Es entstand wieder eine Pause. „Ich habe Noah nur ein Mal bei uns gesehen.“ Meinte ich zögerlich. „Ja, Noah war ein Mal dort. Max hat ihm ja immer Karten und Geschenke zum Geburtstag und Weihnachten geschickt und mein Mann war für ihn sein Vater. Noah hat das akzeptiert. Sie haben sich zwar nun gesehen – was ich meinem Sohn immer angeboten habe – aber gross was geändert hat sich da nicht, wenn du das fragen wolltest.“ Ich nickte. „T’schuldigung, ich stelle mir das einfach so hart vor, ohne Vater und im Rollstuhl.“ Louise Karlmann sah mich nachdenklich an. „Noah hat ein Vater, auch wenn das nicht sein leiblicher ist. Weisst du, nur weil man biologisch nicht zusammen gehört, heisst das noch lange nicht, dass mein Mann nicht der beste Vater für Noah sein kann, denn Noah sich wünschen könnte.“ Ich nickte und dachte dabei an Angelika, meine neue Mutter. „Und klar ist das Leben im Rollstuhl anders, aber es ist nicht minderwertig...“ Ich sah sie entschuldigend an. „Noah kann nicht alles machen, was du kannst, aber er kann dafür einige andere Dinge besser als du. Er ist am Informatik studieren und einer der besten in seinem Jahrgang an seiner Uni.“ Warum fühlte ich mich schon wieder so schuldig? Warum hatte ich das Thema auch nur angeschnitten? „Dann geht es Noah also gut?“ „Ja. Es gibt wahrscheinlich viele Personen, denen geht es schlechter, als Noah, denen aber es in deinen Augen super gehen müssen, weil sie ein leiblichen Vater haben, nicht im Rollstuhl sitzen...“ „Das, habe ich aber nicht so gesagt...“ „Nein, aber so kam es rüber.“ „Ich meinte ja bloss, weil Noah... Egal.“ Sie lächelte. „Noah ist glücklich in seinem Leben Lucy. Die Zeit mit Maximilian war schön, aber er hat sich entschlossen uns zu verlassen, dass heisst nicht, dass wir deshalb nicht glücklich sein können.“ Ich schwieg. Die Frau mir gegenüber sah mich an. „Sie sind immer noch sauer auf ihn?“ „Sauer, nein. Das war ganz am Anfang. Ich bin enttäuscht von ihm, dass er damals nicht den nötigen Mut und Stärke hatte.“ „Aber er wollte sich umbringen, wussten sie das?“ „Ja, Lucy. Aber ob er sich nun umgebracht hätte oder nicht. Er hat mich und Max im Stich gelassen – egal was er tat, beides ist feige gewesen. Aber lassen wir die Vergangenheit nun ruhen, Lucy.“ Aber lassen wir die Vergangenheit nun ruhen, wiederholte sich ihr Satz in meinem Kopf. War das die Lösung? Sollte ich einfach alles lassen wie es war? Ja, es wäre die Lösung gewesen. Hätte ich die Vergangenheit in Ruhe gelassen, hätte ich den Eintrag im Tagebuch nie gelesen. Aber nun? Konnte ich die Sachen nun auf die Seite legen und einfach vergessen was ich gelesen habe? Nein, das konnte ich nicht, schliesslich versuchte ich das schon ganz lange. Wochenlang. Und wirklich geklappt hat es nicht. Nichts hat mich schon so lange verfolgt und beschäftigt. Irgendwas in meinem Hirn liess das ganze immer wieder durch den Kopf spucken. Aber wie fand ich den Ausweg? Wo war er? „Lucy?“ „Äh ja..?“ „Über was denkst du nach?“ Ich zögerte. Sollte ich ihr das sagen... Nein, dachte ich. Damit muss ich selber klar wegen. Ich sah ihr fragendes Gesicht. Ich zögerte noch einmal, ehe ich mich für eine Lüge entschied. „Ich habe mich gefragt, warum Max mich hier hin gebracht hat.“ Sie sah mich an. „Irgendwas beschäftigt dich Lucy, was das weißt nur du. Aber du kannst mir nicht weiss machen, dass nur die Frage, weshalb du hier bist, beschäftigt.“ Ich zögerte, gab keine Antwort, aber scheinbar war das für Louise Karlmann auch eine Antwort. Ein ja. „Ich denke Maximilian wollte dir die Möglichkeit geben, mit jemandem zu sprechen, der nicht mit deiner Familie im Kontakt steht. Max hat vermutlich ziemlich den gleichen Freundeskreis wie dein Vater, also ist die Wahl wohl nicht gross...“ Ich sah mein Gegenüber an. „Da muss doch mehr dahinter stecken.“ „Vielleicht.“ Konnte sie mir keine Antwort geben?! Wir schwiegen ein wenig. „Lucy, geteilte Sorgen, sind halbe Sorgen. Und da du sie scheinbar nicht mit deiner Familie teilen kannst, dacht Max vielleicht, du könntest sie mit mir teilen.“ „Mit Ihnen? Warum das genau?“ „Weil...“ sie zögerte. „Ich arbeite beim Jugendamt, ich bin Psychologin. Alles was du mir erzählst, darf ich nicht weiter erzählen. So wie das Arztgeheimnis.“ Ach so war das! Dachte ich bitter. Erst wollte ich wütend auf Max sein, aber irgendwie konnte ich es nicht. Ich merkte ja selber, dass mich dieses Tagebuch völlig aus der Bahn gerissen hat und ich merkte ja auch, dass es meine Familie wahrnahm. Die Ausritte mit Dad, die er mir als Möglichkeit geben wollte. Genau wie bei den Pferden, dachte ich. Da gibt er auch einfach Möglichkeiten und wartet ab. Verdammt! Wenn er mich vielleicht einmal schütteln würde, dann könnte ich ihm entweder alles sagen und vergessen oder ich könnte es endlich einfach direkt vergessen. Schliesslich Lucy, ist das alles nur ein doofes Hirngespinst, dass sich eingenistet hat! „Lucy, erinnerst du dich noch an unser erstes Treffen?“ „Äh ja klar.“ „Da habe ich dir doch versucht etwas klar zu machen mit Bruchstücken einer Tasse.“ „ja...“ Ich erinnerte mich noch daran. Deine alte Familie ist eine Tasse, erzählte sie mir damals, die ist in Stück zersprungen und du versuchst die nun wieder zusammen zu kleben. Nataly hätte aber damals entweder eine geleimte Tasse oder etwas ganz neues aus den Bruchstücken machen müssen. Aber weder Tim noch Nataly hätten das eine noch wirklich das andere gemacht. Erst ich hätte die Stücke langsam zusammen geklebt. Ich hätte akzeptiert, dass der Leim immer sichtbar bleibt und nicht wieder genau dasselbe entstehen könne, aber was ähnliches. Doch ich müsse aufpassen, denn Natalys Stücke würden fehlen. Dieser Schwachpunkt könne die ganze Konstruktion zusammenstürzen lassen. „Deine Tasse hast du wohl nun?“ Ich sah sie an. Nickte, weil mir nichts anderes übrig blieb. „Und so wie es aussieht, hast du auch schon begonnen etwas neues daraus zu machen. Eine Tasse mit Unterteller – einem grossen Unterteller.“ Auch wenn ich ihre Vorstellungen manchmal etwas komisch fand. Irgendwie hatten sie schon was... Denn um unsere kleine Grundfamilie - Dad, Cate und ich - hat sich die neue Davids-Family aufgebaut: Angelika, Ben, Liv, Mel. Aber auch Colin, Max, Camilla mit ihren beiden Kindern... Der alte Kern war noch da, aber wir waren ein neues Ganzes geworden. Sie sah mich an. „Aber die Lücke beleibt. Ihr habt damit leben gelernt, es gehört zu euch. Dieses Loch von Nataly, es gehört zu eurer neuen Tasse.“ Ich nickte. „Ja.“ Louise Karlmann schwieg auch. „Moms Bruchstücke sind weg, da ist nur noch ein Loch. Mom ist tot.“ Sagte ich mehr leise zu mir hin und in Gedanken versunken. Ich versuchte das Bild dieser Tasse mit dem Loch herauf zu beschwören. Würd es mir helfen, den Tagebucheintrag zu vergessen? Nein, dachte ich. Nein, es ging nicht. Ich sah Frau Karlmann lange an. Rang mit mir selber. Würde sie mich für verrückt halten? Würde sie Max was sagen? Nein, durfte sie ja nicht. Also begann ich zögerlich. „Jetzt mal rein theoretisch... Wenn sie ein Loch in einer Tasse haben und sie dann wieder zusammengesetzt haben, aber dann plötzlich ein weiteres Stück auftaucht. Ein altes Stück, das ursprünglich einmal in diesem Loch war... Was dann?“ Sie sah mich an. Und ich hätte wetten können, dass sie sich freute, dass es ihr gelungen war mir etwas zu entlocken. Aber das war mir egal. Ich erhoffte mir eine Antwort. Eine Art, wie ich das blöde Hirngespinst loswerden konnte. „Mmh... Das ist schwer. Also manchmal passen die Stücke noch rein, aber manchmal, wenn schon viel Zeit vergangen ist und die Tasse schon fest ist, dann hat so zu sagen der Leim etwas Platz weggenommen. Das Stück passt nicht mehr. Dann muss aus der zusammengeleimten Tasse etwas Neues werden, vielleicht eine Schale...“ Ich sah sie nachdenklich an. „Und das heisst?“ „Bruchstücke, die lange verloren waren wiederzufinden, wenn alle andern schon zusammengeleimt sind, ist schwer. Sehr schwer. Aber man hat ja fast keine Alternative – wenn man einmal auf sie gestossen ist – als sie ein zu bauen. Sie zu akzeptieren. Denn wenn du das Stück liegen lässt ausserhalb, wird es dich immer nerven und du wirst dich immer fragen, was du damit machen sollst.“ „Aber ich kann es doch nicht einfach einbauen?“ „Nein, wenn das Loch nicht mehr passt – und das passt sehr schnell nicht mehr, den es brauchte ja viel Leim um die andern Stücke zusammen zu halten über längere Zeit ohne das Bruchstück... – dann muss man versuchen Möglichst schnell etwas neues zu finden, in dem auch das wiedergefundene Bruchstück platz hat.“ Ich schwieg. Nun verstand ich die Logik nur noch begrenzt. Wäre es vielleicht einfacher gewesen, wenn ich das mit ihr nicht anhand von Bruchstücken diskutiert hätte? „So Lucy, wir wollen Max nicht länger warten lassen.“ Ich sah auf die Uhr, schon fast 45 Minuten waren vergangen! „Klar.“ Ich stand auf. Louise Karlmann begleitete mich zur Tür. Als sie mir diese aufhielt sah sie mich an. „Lucy, Tassen, die schon viel Leim enthalten - weil sich alte Stücke, die auseinandergebrochen sind wiedervereint haben und neue Stück hinzugefügt wurden -diese Tassen können einfacher etwas neues werden, weil sie nicht erst noch auseinander gebrochen werden müssen. Sie müssen nur noch wieder neu verleimt werden.“ Ich sah sie an. Was sollte ich sagen? Danke? „So und nun geh, Lucy. Und falls du mal wieder vorbeikommen möchtest, weißt du ja wo du mich findest.“ „Ja.“
Völlig verwirrt ging ich. In meinem Kopf wirbelte es von Bruchstücken und Leim. Doch ich glaube, ich habe ihre Botschaft schon verstanden. Man soll die Vergangenheit ruhen lassen und im Jetzt leben, das Beste aus dem Jetzt machen, aber wenn nun mal Dinge aus der Vergangenheit auftauchen, ohne das man sie extra heraufbeschwört, dann muss man sich ihnen stellen, sie akzeptieren. War es das, was sie mir mitgeben wollte? Und vor allem: Was zum Teufel bedeutetet nun konkret?
Genervt stieg ich zu Max ins Auto. Er fragte nicht, sondern liess mich in Ruhe. Wir fuhren zurück, kurz bevor wir auf das Gestüt einbogen, meinte Max: „Wir beiden waren dann frische Karotten holen und einige spezielle Futterergänzungen.“ Ich sah ihn an. Ja, alles klar.“ Ich wusste was sein Satz bedeutete, das hier blieb unter uns.
So hier nun endlich Teil 2 des Beris. Teil 3 folgt! Viel Spass Ach ja, das Spielt irgendwann im Herbst... So ungefähr Oktober.
----- Nr. 46 - All it takes is a second and your whole life can get turned upside down (Teil 2)
Ich setzte mich auf, alles wurde schwarz um mich. Ich konnte es einfach nicht fassen. Noch immer sah ich die Zeilen vor mir:
03.03.2012, 8:03 Ich habe den Unfall überlebt!!!
Das Tagebuch lag Zuhause, doch trotzdem sah ich vor meinem inneren Auge jeden einzelne Buchstaben ganz klar und deutlich in der Handschrift meiner Mutter. Trotzdem konnte mein Gehirn nicht verstehen, was das heissen sollte. Mir war wirklich schwindelig und ich konnte mich kaum aufrecht halten. Angelika umsorgte mich rührend. Sie brachte mir Cola und Salzstangen, was mein Kreislauf wieder in Schuss bringen sollte... Doch so schnell konnte niemand mehr das wieder ins Lot richten. Schon gar nicht eine Flasche Cola und ein Pack Salzstangen! Stimmte das, was da stand? Meine Mutter war doch tot! 8:03 dachte ich. 6:10 fuhr der Bus los. Der Unfall, so erzählte es uns die Polizisten, fand kurz vor 7 Uhr statt auf einer wenig befahrenen Nebenstrasse zu einem Dorf, in dem der Bus Zwischenhalt machte um weitere Passagiere aufzuladen. Um 7:04 war die Explosion, die für alle tödlich endete. Ich war nie da gewesen, aber ob ich es wollte oder nicht, so sah ich Bilder. Hässliche Bilder. Sie waren überall auf Zeitungen, im Fernseher. Aufgrund der Explosion und dem Feuer wurde alles zerstört. Wer alles im Unglücksbus sass, konnte man nur aufgrund dem gefundenen Gepäck und darin enthaltenen Ausweisen und persönlichen Gegenständen herausfinden. Doch Colin und ich hatten Mom selber zum Bus gebracht, wir hätten auch ohne ihr Gepäck gewusst, dass sie drin sass... Ich hörte Melanie oder Livianne schreien, wollte mich im Wohnwagenteil unseres Transporters aufsetzen und hinüber gehen zu meinen Kinder. Doch Angelika drückte mich wieder zurück ins Kissen. „Ruh dich aus Lucy, du siehst noch viel blasser aus. Ich kümmere mich um Melanie.“ Ich nickte, denn die Welt drehte sich um mich. Seit wir losgefahren waren, war da dieses Gefühl. Ich fror und schwitze zugleich. Ich wäre am liebsten kilometerweit gerannt und hätte laut geschrien, doch meine Kehle war zugeschnürt, meine Bein verweigerten ihren Dienst und das schon seit heute Morgen. Ich habe nur am Rande mitbekommen, wie gegen zwei Uhr angekommen sind, wie Dad und Cate die Pferde ausluden, wie wir den Transporter parkten. Wie sie alles fürs Turnier fertig machten. Ich lag nur in meinem Bett. Wäre am liebsten in ein kleines Loch gefallen...
WARUM? Fragte ich mich. Warum? Was sollte das?
Wenn ich auch nur halbwegs so schlecht aussah, wie ich mich fühlte, dann musste ich beängstigend aussehen. Blass und bleich, zitternd vor Kälte (und Angst). Das hier war schlimmer, als alles je in meinem Leben. Ja es ist schlimmer, als damals, als die Polizisten im Büro in St. Claire standen und mir die schlechte Nachricht überbrachten. Es ist schlimmer als die Angst, als ich erfuhr, dass ich schwanger war. Ich hörte Stimmen draussen. Ich hörte Marelle lachen. Ich wollte auch da hin. Einfach alles vergessen und mitlachen. „Marelle, das Leben ist nicht fair.“ Hörte ich Cate sagen. Nein, das ist es nicht! Dachte ich. Cate bringt es auf den Punkt. Warum musste ich auch diesen Drang verspüren, diese Tagebücher zu lesen. Warum genau heute morgen, warum überhaupt?! Sie haben alles kaputt gemacht. Alles. Ich hatte endlich meine Familie gefunden. Eine Familie, die mich liebte. Eine Familie, in der ich mich sicher fühlen konnte, egal was kommt. Eine Familie, die für mich da war. Eine Familie, die mir beistand. Eine Familie, der ich blind vertrauen konnte. Eine Familie, in der ich eine neue Mutter gefunden habe. Eine Familie, in der ich ICH sein konnte. Eine Familie, die mit mir zusammen meine Sorgen trägt. Eine Familie, die mich nicht im Stich lässt. Eine Familie, die für meine Töchter die Familie ersetzte, die ich und ER ihnen nicht bieten konnten. Eine Familie, die...
Immer enger wurde das Lasso um meinen Hals. Ich spürte das zittern meiner Hände, doch ich konnte es nicht abstellen. Ich hatte solche Angst. Angst, dass dies alles wahr ist! Konnte nicht jemand hinter dem Gebüsch hervorspringen und lachend sagen, dass er die Tagebücher gefälscht hat? Nein, dachte ich. Wer sollte das gemacht haben und wer sollte die Schrift meiner Mutter genauso gut beherrschen wie sie? Niemand. Die Angst wuchs. Ich wusste, dass ich gleich durchdrehen würde, wenn nicht gleich eine Lösung auftauchte. Mir das Unmögliche erklärte und wegradierte. Doch da war niemand. Und leider konnte man Gedanken nicht einfach wegradieren, wie Bleistift mit dem Gummi oder Tinte mit dem Tintenkiller. Hilfe. HILFE!
Lucy?
Wärme durchzuckte mich, für einen Moment war die Angst weg.
Lucy? Alles okay?
Mein Herz begann zu klopfen. Tirina. Sie war da. Sie hat eine Verbindung zu mir erstellt über all die vielen Kilometer!
Tiri! Was ist los, Lucy?
Ich zögerte. Nein, entschied ich. Auch wenn ich es ihr gerne erzählt hätte, ich konnte nicht. Ich durfte Tirina nicht mit so was belasten. Ich musste, die, die mich lieben, vor diesem Desaster schützen.
Es ist nichts. Scheint aber nicht so... Doch. Mir geht es gut. Wirklich? Bist du sicher? Ja. Okay. Ich spürte die Enttäuschung von Tirina. Wie du meinst. Es ist nichts. Beharrte ich, um meinen Entschluss zu bekräftigen. Ich spürte, wie die Enttäuschung grösser wurde. Schon verstanden, Lucy.
Nun lief mir eine Träne nach der andern über die Wange. Ich weinte darüber, dass ich dies tun musste. Dass ich Tirinas Vertrauen so missachten musste, dass ich sie einfach abblocken musste. Nein, es geht nicht anders! Es reichte, wenn meine Welt einbrachte. Alle, die ich liebte, musste ich schützen. Die durfte nicht verletzt werden. Es reichte, wenn ich das war!
Ich hörte wie jemand die Tür des Transporters öffnete. Schnell drehte ich mich um und drückte mein rotes Gesicht ins Kissen. „Magst du was trinken Theo?“ „Nicht schlecht gelaufen, was Tim?“ „Für das Ebnet Team aber auch.“ Antwortet Dad. „Wir hätten besser sein können. Aber wenn wir euch schlagen wollen, müssen wir wohl noch ein bisschen mehr trainieren.“ „Ach was, das war bloss Glück. Mit dem Tempo, in dem Cate die Hindernisse angeritten hat, hätte sie auch alle umreissen können. Wie oft habe ich ihr schon gesagt, dass sie es ein bisschen langsamer angehen soll? Weniger Risiko!“ Theo lachte. „Das sagst genau du...! Wie oft haben dich deine Eltern früher belehren wollen.“ „Das ist was anders. Damals ging es darum, dass sie nicht verstehen konnten...“ „Pssst. Tim, Theo, ein bisschen leiser, Lucy schläft da oben im Bett über der Fahrerkabine.“ Meinte Angelika und ich hörte, wie sie die Tür hinter sich zuzog. „Okay.“ Hörte ich Dad leise sagen. „Und? Cate’s Ritt habe ich gesehen.“ „Ritt?“ meinte Tim. „Wo eher ein Hindernisrennen, ich glaube du solltest sie mal Trainieren für die Bahn.“ „oh, da ist jemand sauer. Darf ich raten? Du hast ihr gesagt, dass sie es langsamer angehen soll?“ „mmh..“ murrte Dad. Ich konnte es zwar nicht sehen, aber ich war mir ziemlich sicher, dass Angelika die Augen verdrehte. „Männer.“ Meinte sie. „Freu dich, für deine Tochter. Und wie ging es mit Mackanzie?“ „Nicht schlecht, der Stute fehlt einfach noch die Routine. Aber so fürs erste Turnier hat sie sich gut gemeistert.“ „Gut gemeistert? Also ich würde sagen, sehr gut. Tim und die Fuchsstute sind im ersten Viertel gelandet.“ Meinte Theo. Die Tür ging erneut auf. „Siehst du, ich habe dir doch gesagt, wir finden unsere Väter hier.“ Meinte Marelle. „Ja, ja..“ meinte Cate. „Angelika, wir haben Hunger, wann gibt’s was?“ „Bald.“ Meinte Angelika. „Bei den Pferden alles okay?“ „Ja, alles gemacht, Dad.“ „Haben alle Heu, Wasser und Kraftfutter?“ „Ja, Papa. Ich mach das nicht das erste Mal.“ Motze Cate rum. „Ich bin kein kleines Kind mehr!“ „Beim Springen warst du aber wohl noch eines! Was überlegst du dir eigentlich? So schnell fehlerfrei durch den Parcours zu kommen ist fast unmöglich.“ „Ich weiss sehr wohl was ich mache!“ „Schluss, jetzt ihr beide. Wollt ihr lieber Spagetti oder Ravioli? Das andere gibt es morgen.“ Angelika macht eine Pause. „Zwar... Wenn wir alle hier essen, müssen wir wohl beides machen. Ich habe beim Einkaufen nicht daran gedacht, dass du Theo und deine Familie hier bist.“ „Ach schon gut. Wir wollen euch keine Umstände machen... Wir essen jedes Mal bei euch. Wie wäre es, wenn wir euch zur Abwechslung einladen? Wir haben zwar keine fahrbare Küche hier, aber wie wäre es mit dem Festrestaurant auf dem Gelände?“ „Klingt gut.“
Ich wurde praktisch dazu gezwungen mit Essen zu gehen, obwohl mir überhaupt nicht zu essen zu mute war. Zum Glück verstand Theo und Marelle, dass man mich wohl am besten in Ruhe liess. Die beiden waren sowieso tief ins Gespräch vertieft. Und Angelika sah mich zwar immer mal wieder besorgt an, aber liess mich auch in Ruhe. Ich stocherte ein wenig in meinem Teller rum, ass fast nichts. Irgendwann sah mich Cate fragend an und zog mein Teller zu sich rüber und verputzte noch meine Portion, von der ich eigentlich gar nichts gegessen hatte. „So Marelle, komm, wir müssen nun los, sonst ist im Hotel niemand mehr.“ meinte Theo „Hotel? Weshalb gehen wir in ein Hotel, die Silvermoon-Davids sind doch hier!“ „Ja, aber wir Übernachten im Hotel.“ „Aber... Hast du Alzheimer? Wenn Tim mit seinem Transporter am Turnier ist, haben wir noch jedes Mal bei ihm Übernachtet! Du weißt wie sehr ich mich immer darauf freue!“ Obwohl ich nur begrenzt anwesend war mit meinen Gedanken, nahm ich war, wie Theo unruhig wurde. „Wir übernachten im Hotel.“ Marelle schüttelte trotzig den Kopf. „Sie haben Platz und es ist das beste am Turnier, du kannst alleine fahren.“ „Marelle wir übernachten im Hotel, weil Tim diesmal die ganze Familie dabei hat. Nur weil wir schon jahrelang immer bei ihm übernachten, heisst das nicht, dass wir das immer können. Tim kann schlecht seine eigene Familie ins Hotel schlicken.“ Marelle sah in die Runde und wurde leicht rot. „Sorry...“ murmelte sie. Sie sah Angelika und mich entschuldigend an. „Ich weiss ja, dass ihr beide und die kleinen drei nun auch dazu gehören. Aber das ihr heute alle hier seid habe ich nicht wirklich realisiert. Oft sind ja nur Tim und Cate unterwegs.“ „Schon gut, Marelle. Ich habe schon davon gehört, wie Cate, Tim, dein Bruder, deine Eltern und du früher immer alle zusammen übernachtet habt.“ „Also komm Marelle.“ Cate sprang auf. „Nein, Dad bitte dürfen sie bei uns übernachten. Wir können doch etwas zusammen rutschen, es wäre so komisch, wenn sie nicht bei uns übernachten. Sie haben immer bei uns übernachtet! Das wäre als würden wir ohne Pferde aufs Turnier fahren.“ Tim warf Angelika einen fragend Blick zu. „Im Doppelbett über der Fahrerkabine hätte ja eigentlich Cate und Lucy geschlafen und wir beide auf dem runtergeklappten Tisch. Die Stockbette sind also noch frei. Eigentlich hätten die Twins und Ben da geschlafen, aber...“ „Ben können wir zu uns nehmen und die Twins können ja im Kinderwagen schlafen.“ Meinte Angelika. „Juhi!“ Cate strahlte und klatschte Marelle ab. „Aber geht das auch wirklich in Ordnung?“ „Ja, ja.“ Meinte Angelika. „Ich möchte da nicht einer alten Tradition im Weg stehen.“
So kehrten wir alle zum Transporter zurück. Erst jetzt bemerkte ich, wie selbstsicher sich Marelle im Transporter bewegte. So als wäre es ihr Zuhause. Mir passierte es immer noch, dass ich erst zwei Kästen öffnen musste, bis ich das gewünschte fand. Marelle war hier mehr Zuhause als ich. Ich war hier nicht Zuhause. Mein Zuhause war... Ja wo war mein Zuhause? Ich war der Eindringling. Ich hatte geglaubt mein Zuhause sei in London, doch dann hat sich das geändert. Mit Moms Tot war London nicht mehr mein Zuhause. Mit jeder Woche, die ich in Deutschland verbrachte, wurde Deutschland mehr zu meinem Zuhause. Das wirkliche Gefühl von einem sicheren Zuhause hatte ich in den letzten Monaten auf Silvermoon kennengelernt. Silvermoon wurde für mich und meine Twins zu DEM Zuhause. Der Ort meiner Familie. London würde für uns Londoner-Davids zwar immer wichtig bleiben, aber unser Zuhause war es nicht mehr. Unsere Familie war nicht mehr da. Aber nun? „3.3.12, 8:03 - Ich habe den Unfall überlebt!“ spuckte es in meinem Kopf herum. War es Mom gelungen zu fliehen? Es musste ihr gelungen sein, denn sonst, hätte sie um 8 Uhr nicht diesen Eintrag schreiben können. Doch wenn sie die Explosion überlebt hat, wie konnte sie dann dennoch tot sein? Ich versuchte mich zu erinnern. Wann war die Polizei die Feuerwehr eingetroffen? Hat man mir das irgendwann einmal gesagt? Gab es nach der ersten Explosion womöglich eine zweite? Was geschah, dass Mom die Explosion überlebte aber danach doch noch starb? Niemand hat gesagt, dass sie vielleicht länger gelebt hat als die andern. Es hiess, dass alle bei der Explosion ihr Leben verloren. Warum hatte man uns nicht gesagt, dass sie noch ein wenig länger gelebt hat! Und noch viel wichtiger, wie war Mom dann umgekommen? Ich hatte mir – durch die Bilder in der Zeitung und im Internet, die mich unfreiwillig anzogen wie Magnete – Moms Tot während der Explosion vorgestellt, aber nun? Ich merkte wie Panik aufkam. Was ist wirklich geschehen? Ich merkte das Zittern nicht, das mein Körper überflutete. Meine Gedanken die zuvor von einer Ecke wild in die andere gesprungen waren, bündelten sich auf einmal und galten nur noch der einen Frage. Was war geschehen? Was lief da ab? Mein Herz pochte. Ich sah die Bilder von der Zeitung vor meinem Geistigen Auge durchrauschen. Hässliche Bilder. Bilde, die kein Mensch sehen wollte. Keiner eigentlich sehen sollte. Bilder, die man nicht so schnell wieder vergisst. Ein völlig ausgebrannter Bus, Glasscherben überall… Der Bus, der lag auf der Seite, doch viel war nicht mehr zu erkennen. Er glich mehr einem Haufen Metall. Ich merkte die Tränen nicht, die mir über die Wangen liefen. Wenn Mom dieser Hölle entkommen ist, warum ist sie dann tot? Was hat das alles zu bedeuten? Warum? Ich zitterte. An was war Mom dann gestorben? Und dann traf mich die Erkenntnis wie ein Stein in den Magen. Mom lebte nach der Explosion noch, das bedeutet… War sie überhaupt tot? Es wurde langsam alles grau und seit wann war da dieses hohe Summen? Und dann wurde alles schwarz. Schwarz wie die Nacht.
„Lucy du machst vielleicht Sachen! Fällst einfach in Ohnmacht und schlägst dir dabei noch den Kopf am Tisch an.“ Ohnmacht? Ich sah Cate durch den Nebel um mich herum an. Und dann spürte ich ein starkes Pochen oberhalb meines rechten Auges. Ich wollte meine Wunde abtasten, doch Cate hielt mit meine Hand zurück. „Nicht, Lucy. Ist nicht so eine schlimme Platzwunde, die Sanitäter waren schon hier. Ist höchstens 2 cm lang. Sie haben sie dir geklebt.“ Sanitäter? Platzwunde? Ich drehte meinen Kopf und merkte, dass sie mich ins untere Stockbett gelegt haben und dass neben Cate ein Sanitäter sass. „Hast Glück im Unglück gehabt, die Wunde könnte schlimmer Wenn das alles gut verheilt, wird nur eine sehr unauffällige Narbe zurück bleiben. Man wird sie später wohl kaum sehen.“ Meinte der Sanitäter Ich nickte, Worte drangen mir noch nicht über die Lippen. Die fühlten sich scher wann und wie aus Blei. Dad trat in mein Sichtfeld und lächelte mich an. Der. Sanitäter klappte den Koffer neben sich zu und stand auf. Er blickte Dad an und meinte „Wie ich schon gesagt habe, es könnte schlimmer sein. Sollte ihr plötzlich extrem Übel werden oder sollte sie starke Kopfschmerzen bekommen, wissen sie ja wo sie mich finden.“ Dad nickte. „Danke.“ Der Sanitäter drehte sich zu mir um. „Gut Besserung.“ Ich weiss nicht, ob ich das Lächeln zu Stande brachte, denn irgendwie war alles so anstrengend. Cate stand auf und verschwand aus meinem Blickfeld. Angelika kam und legte mir einen kühlen Lappen auf die Stirn. „Wirst wohl morgen trotzdem einen schönen grünen-blauen Fleck auf der Stirn haben.“ „Danke.“ Flüsterte ich, denn zu mehr war ich noch nicht fähig. „Gute Nacht, Lucy.“ Meinte sie. „Schlaf gut“ meinte Dad und drückte mir einen Kuss auf die rechte Wange. Ich drehte den Kopf, so dass er meine linke Wange auch noch küssen konnte. Doch da kam kein zweiter Kuss. Verwirrt sah ich ihn an. Mein Hirn begann zu arbeiten. Das war nicht Mom hier! Mom hat mich jeden Abend auf die beiden Wangen geküsst, als ich noch ganz klein war. Aber das hier, war nicht Mom, das war Dad und überhaupt, das war schon so viele Jahre her, wie konnte mir mein Gehirn diesen Streich spielen. Wie konnte ich Mom mit Dad verwechseln? Nur weil Dad mich sonst immer auf die Stirn küsst…! Und überhaupt, Mom war doch tot, dass sollte ich doch auch noch in so einem benommenen Zustand wissen! Wütend über mich selber, drehte ich mich zur Seite. Das Pochen wurde stärker und ich drehte mich wieder auf den Rücken. Die Lichter wurden abgelöscht. Mit offenen Augen lag ich im Dunkel. Draussen hörte ich fremde Geräusche, begleitet von einem ewigen Pochen oberhalb meines rechten Auges. Ich hörte, Theos regelmässige Atemzüge im Bett über mir. Ich versuchte mich auf das Geflüster von Cate und Marelle zu konzentrieren, um das Pochen zu vergessen, doch es klappte nicht. Fluchend drehte ich mich wieder auf die Seite. Doch ich fluchte nur noch mehr, denn es war die rechte Seite und das Kissen drückte schmerzhaft gegen die Wunde. Noch genervter drehte ich mich auf die linke Seite und stiess mir dabei den Kopf an der Wand an. Verflucht! Völlig genervt legte ich mich wieder auf den Rücken und versuchte einzuschlafen. Doch das Pochen hielt mich wach. Ich hörte eine Eule draussen. Ansonsten war es ruhig. Auch Cate und Marelle schliefen. Ich starrte in der Dunkelheit das Bett über mir an. Zählte aus Langeweile die Latten. Aber immer begleitet von einem schmerzenden Pochen. Genervt wollte ich mich wieder umdrehen, doch ich erinnerte mich daran, dass die rechte Seite nicht ging. So hielt ich in meiner Bewegung inne und drehte mich schliesslich nach links und starrte die Wand an. Ich sah nicht, wie Angelika sich aufsetzte und mich besorgt ansah, weil sie hörte, wie ich mich herumwälzte.
03.03.2012, 8:03 Ich habe den Unfall überlebt!!!
Verdammt, konnte ich meine Gedanken nicht endlich abschalten? Mein Gehirn arbeitete ohne dass ich es wollte, ohne dass das ich die Gedanken bewusst lenkte. Doch dann fühlte es sich plötzlich an, als wäre ich vom Blitz getroffen worden. Wenn Mom nicht bei der Explosion umkam, dann… dann musste sie nicht zwangsläufig tot sein! Das Pochen war auf einmal nur noch ganz schwach, mein Herz fühlte sich an als würde es nächstens zerspringen, mein Kiefer schmerzte und das Atmen viel mir schwer. Ich hatte da Gefühl, dass ich keine Luft mehr krieg. Panisch wollte ich schreien, doch das ging nicht. Kein Laut kam aus meiner Kehle. Meine Stimmbänder versagten ihren Dienst, genau wie meine Muskeln. Ich lag erstarrt da. Ich zitterte. Und dann lief eine Träne über meine Wange. Es folgte ihr eine zweite, eine dritte, eine vierte. „Lucy?“ Angelika beugte sich über mich. „Alles okay.“ Ich sah ihr Gesicht nur diffus, der Mond er rein schien, war nicht stark genug, dass ich ihr Gesicht genau hätte sehen können. Ihr blondes Haar fiel ihr über die Schulter. Eher unbewusst als bewusst, drehte ich mich zu ihr um. Sie sah mich an. Und dann streckte ich ihr ganz langsam meine Arme entgegen. Angelika war da. Nun wusste ich, warum Dad sie manchmal Angel nannte. Nicht um ihren Namen abzukürzen, nein. Sie war ein Engel. Mein Schutzengel. Mein Rettungsboot auf hoher See. „Komm.“ Sie zog mich in ihre Umarmung, wie es eine Mutter bei einem kleinen Kind tat, dass sich irgendwo gestossen hat – oder einen Alptraum gehabt hatte. „Ich bin bei dir, alles wird gut.“ Ich sah sie stumm an. Ein realer Alptraum, konnte doch kein Happy End haben. Oder? Nein, dachte ich im ersten Moment. Spürte dann aber Angelikas Arm um mich und fragte mich, ob es vielleicht doch ging… Zusammen als Familie. Hatte ich nicht schon in London geglaubt, dass die Welt zusammenbrach als ich von den Polizisten erfuhr, dass die Mom tot ist? Oder bei der Krankenhausgeschichte vor der Geburt der Twins? Angelika zog mich auf die Beine, nahm meine Decke und öffnete leise die Tür des Wohnwagenteils des Transporters. Sie schloss die Tür und setzte sich draussen auf die Stufe. Sie legte die Decke um uns. Ich wollte was sagen, doch meine Stimme versagte. Angelika sah mich lange an und legte dann den Arm um mich. Sie sagte nichts. Sie war bloss da, genau das was ich in diesem Moment brauchte.
Mom. Vielleicht war sie gar nicht tot? Wenn das stimmte, dann musste sie irgendwo auf dieser weiten Welt leben. Vielleicht sah sie in dem Moment auch zum Himmel hoch zum Mond. Doch – Colin war doch dort gewesen und die Polizei hätte doch bestimmt gemerkt, wenn Mom überlebt hätte. Und warum zum Teufel hatte sie ich dann nicht bei uns gemeldet? Nein, Mom konnte nicht leben. Je länger ich darüber nachdachte, desto sicherer kam ich zu diesem Schluss. Er war einfach unmöglich. Vielleicht, so sagte ich mir, hat sie es geschafft aus dem Bus raus zu kommen und irgendwo hin zu gehen. Doch wirklich viel länger überlebt hat sie nicht. Ich würde es wissen. Wir – Colin und ich – hätten es erfahren, erfahren müssen!
Angelika strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und sah mich an. Ein kalter Windstoss erfasste uns. Angelika zog die Decke enger um uns. Zum Teufel mit mir, verwünschte ich mich selber. Warum machte ich mich verrückt mit einer solchen Geschichte? Mom war tot. Sie muss tot sein. Sie ist tot! Ob sie nun ein paar Minuten länger gelebt hat als die andern Insassen des Busses oder nicht, das änderte an der Sache nichts mehr. Hier um mich, hatte ich eine Familie, die mich liebt. Genauso wie Mom es früher getan hatte. Sie hielten zu mir, was immer geschah. Dad, Cate, Colin und in Angelika hatte ich sogar eine neue Mutter. Obwohl wir nicht miteinander verwandt waren, tat sie fast immer genau das richtige. Sie verstand mich ohne Worte – manchmal sogar besser als Mom es früher getan hatte, dachte ich traurig und kuschelte mich an meine neue Mutter. Ob ich sie irgendwann Mama nennen könnte? Wenn, dann musste wohl noch einiges an Zeit vergehen. Doch in meinem Herzen ist sie jetzt schon meine Mama. Und Mom, würde für immer meinen Mom bleiben. Meine verstorbene leibliche Mutter. Denn wenn ich eines wusste, war es, dass ich Angelika nie Mom nennen könnte. Denn das war meine Name für Nataly Davids-Miller. Ich lächelte, was ich selbst aber nicht bemerkte. Wie wohl mein kleiner Bruder Angelika später nennen wird? Solange es nicht Mom war, war mir alles recht. Mama, Mami… ganz egal. Und wie mich Livianne Nataly und Melanie Colleen wohl nennen werden? Das war ein ganz neuer Gedanke. Ich legte meinen Kopf an Angelikas Schulter. Und schloss die Augen. In diesem Moment fühlte ich mich nicht 19 Jahre alt, sondern ganz klein. Es war verrückt. Auch wenn ich wusste, dass Angelika – und der Rest der Familie – zwar alles versuchen und machen würde um mich vor dem Bösen zu beschützen, so wusste ich zwar, dass sie mich im Prinzip nicht vor allem schützen konnten, aber hier in diesem Moment hatte ich das Gefühl, dass solange ich neben meiner Mutter sass, sie mich vor allem Bösen beschützen würde. Alle bösen Geister von mir fernhalten würde und nichts mir etwas antun konnte.
Angelika stand auf, zog mich mit hoch. Wie ein kleines Kind – ich hasste mich später zwar dafür – packte ich ängstlich ihre Hand und klammerte mich daran fest. Ich wollte dieses Gefühl des absoluten Schutzes durch sie nicht verlieren. Sie lächelte mich an. Wir gingen in den Wohnwagenteil des Transporters. Und bevor ich richtige verstand was geschah, war Dad schon wach. Angelika hatte ihn geweckt und ihm leise etwas zugeflüstert. Er stand auf, sah mich an und machte einen Schritt auf mich zu. Dann fuhr er mir mit der Hand übers Haar und drückte einen Kuss auf meine Stirn. Das heisst, eigentlich mehr oberhalb des linken Auges auf mein Haar wegen meiner Platzwunde über dem rechten Auge. Hatte er absichtlich diesen etwas komischen Ort gewählt anstatt der Wange wie am Abend? Hatte er meine Verwirrung gespürt? Oder war es einfach Zufall, dass er nun eine anders Stelle genommen hatte, weil mitten auf die Stirn wie üblich im Moment nicht ging? Grübelnd stand ich da während Dad seine Decke auf mein Bett legt. „Versuch zu schlafen, Lucy.“ Meinte er, strich mir dabei noch einmal übers Haar und legte sich dann in mein Bett. Ich war zu müde, zu verwirrt und mit meinen Gedanken wo anders, dass ich wirklich bemerkt hätte was vor sich ging. Angelika zog mich ins Bett neben sich, dahin, wo Dad zuvor lag. Sie deckte mich zu und legte sich neben mich. Sie sah mich lange und nachdenklich an und ich hätte gerne gewusst, was sie nun dachte. Doch ich fragte nicht und drehte mich zur Seite. Ich starrte in die Dunkelheit hinaus und schloss die Augen ich, merkte wie Angelika die Hand auf meine legte. „Schlaf nun Lucy.“ Ich hörte ihre Worte und das Gefühl, dass mir nichts passieren konnte war zurück. Ich schlug die Augen nochmals auf. Sah Angelika an. Ich kannte sie noch nicht einmal ein ganzes Jahr, aber es kam mir vor als würden wir uns schon immer kennen. Sie war da für mich, wenn ich sie brauchte, auch wenn ich nicht wusste, wie sie das anstellte. Wie sie wusste, wie sie handeln musste. Und nun lag sie neben mir, wie früher meine Mutter und wachte über mich. Über uns alle.
Und in diesem Moment glaubte ich noch fest daran, dass ein Alptraum ein gutes Ende haben konnte...
Ja so riesig bin ich auch nicht, aber es gibt deutlich kleinere Personen als ich. Zudem gibt es viele Erwachsene, die 1,5-2 x so viel wiegen wie ich und die reiten Haflinger etc. Klar kommt es immer auf das einzelne Pferd an und nur weil es viele andere tun, heisst es noch lange nicht, dass es gesund ist. Aber wenn dann bei mir das Bild nicht ganz so dressurmässig perfekt aussieht, nehme ich das nicht so tragisch.