Inmitten von Umzugskartons stand ich in meinem neuen Haus und blickte ratlos zu meinem Bruder hinüber. Dieser baute gerade mein Bett auf. Eigentlich hatte ich ja keine große Lust darauf, die ganzen Sachen aufzubauen und einzuräumen. Heute zumindest nicht. Denn jetzt wollte ich mein neues Pferd kennen lernen. „Amarena“ war der Name der Stute, für die ich schon von einem Monat den Kaufvertrag unterschrieben hatte. Eine wunderschöne Trakehnerstute, noch nicht weit ausgebildet. Natürlich, die Pferde die ich früher geritten war, gingen alle mindestens eine Disziplin auf Grand Prix Niveau, aber keines davon hatte mir gehört.
Mein Bruder kannte mich genau und meinte plötzlich. „Na geh schon. Ich schaff das schon allein, für ein paar Stunden.“ Meine Augen leuchteten auf. „Wirklich?“ Er nickte. Ich umarmte ihn und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. „Danke, danke. Du bist wundervoll!“ Ich schnappte mir meine Jacke. „Bis später!“ sagte ich dann an meinen Bruder gewandt und verließ das Haus.
Da das Auto noch vollgepackt war mit Sachen und mein Fahrrad noch nicht hier angekommen war, musste ich wohl oder übel laufen. Die 10 Minuten waren ja aber auch nicht weit und ich erreichte schnell den Hof.
Der bekannte Geruch von Pferden und auch ihre Geräusche ließen mein Herz ein bisschen schneller schlagen. Ich betrat die Stallungen und sofort kamen einige Köpfe aus den Boxen. „Ich hab heute leider nichts für euch...“ meinte ich lächelnd.
Und dann war ich auch schon bei ihrer Box angekommen. Amarena steckte auch sofort den Kopf heraus und sah mich mit großen Augen neugierig an. „Hallo Schöne!“ sagte ich sanft und ließ auch sie kurz an mir schnuppern, ehe ich sie sanft hinter den Ohren kraulte. „Na, geht’s dir gut?“ Amarena schnaubte freundlich und als ich die Box aufmachte, wollte sie gleich rausstürmen. Ich erwischte sie noch am Halfter. „Nein, so schnell geht das nicht...“ meinte ich gelassen und schnappte mir den Führstrick, der an der Boxentür hing. Ich klinkte den Karabiner ein und führte die Stute aus ihrer Box.
Amarena schien wohl auf der Weide gewesen zu sein, denn sie war ziemlich dreckig. Da würde wohl eine etwas längere Putzsession erforderlich sein, aber das war mir eigentlich ganz recht. Schließlich war putzen ja vertrauensbildend. Beim Putzplatz angekommen, band ich die Stute erstmal fest. „Ich bin gleich wieder da...“ Ich eilte in die Putzkammer, wo ich schon gestern meine Putzkiste deponiert hatte, und schnappte mir sie mir. Zurück bei Amarena begann ich zuerst mit der Wurzelbürste den groben Dreck aus ihrem Fell zu bürsten, was eigentlich gar nicht so viel Arbeit war, wie es ausgesehen hatte. Amarena war heute wohl gut drauf, denn sie ließ die Putzprozedur ohne Probleme über sich ergehen. Als ich mit dem Striegel den Dreck endgültig rausmachte und später mit der Kardätsche den Staub rausstreifte, schloss sie sogar die Augen und verlagerte ihr Gewicht nur noch auf ein Hinterbein, um zu entspannen.
Ich ließ mir Zeit, und verlas sowohl die Mähne als auch den Schweif, denn ich mag es nicht, wenn alles so unordentlich aussieht. Als ich dann schließlich die Hufe auskratze wurde die Trakehnerstute wieder munter, und wieherte mir vorwurfsvoll hinterher, als ich verschwand um das Putzzeug zu verräumen und den Sattel und die Trense zu holen.
Als ich wieder zurückkam hatte sie schon versucht den Sicherheitsknoten zu öffnen mit dem sie fest gebunden war, Gott sei Dank ohne Erfolg. Ich legte ihr den Sattel auf und zog ihn nur ganz leicht fest. Dann bot ich ihr das Gebiss an, was sie ohne Probleme nahm und streifte ihr die Trense über. Schlussendlich hakte ich die Zügel ein und band sie mit denen fest, ehe ich das Halfte löste und es zurück zu ihrer Box brachte.
Die Stute stand ungeduldig da und als ich sie endlich in Richtung Dressurviereck lotste war sie vollkommen aus dem Häuschen. „Ruhig...“ meinte ich zu ihr, während ich den Platz betrat und sie auf der Mittellinie positionierte. Ich zog den Sattelgurt nach und stellte die Steigbügel auf meine Größe ein. Dann schwang ich mich auf ihren Rücken.
Ich lehnte mich leicht zurück, presste die Schenkel zusammen und Amarena reagierte sofort. Wir gingen zwei Runden im Schritt, ehe ich ihr eine Parade gab und wir in einen flotten Arbeitsschritt verfielen. Schlussendlich folgte eine Runde Galopp, ehe ich nochmals auf der Mittellinie anhielt um den Gurt erneut nachzuziehen.
Amarena war echt gut zu reiten, reagierte sensibel auf Hilfen, aber ihre Gangarten waren noch verbesserungswürdig. Sie hob im Trab die Beine nicht schön, und ihr Galopp war noch etwas unrythmisch. Diesem Problem würde ich mich in nächster Zeit mal annehmen.
Ich begann mit einer leichten Übung: Schlangenlinien durch die ganze Bahn. Amarena wehrte sich noch etwas, sich richtig zu biegen, deshalb hängte ich gleich eine Volte hinten dran. Ich wusste, dass sie jetzt versuchte Machtspielchen mit mir zu spielen und deshalb machte ich immer wieder Volten, die in der Größe her variierten. Ich ritt ein paar Schlangenlinien, Wechsel durch den Zirkel und Wechsel durch die Bahn. So machte ich das eine Stunde lang. Am Ende waren sowohl Amarena als auch ich total durchgeschwitzt. Ich ritt sie im Schritt trocken und ließ mir dabei die Zügel aus der Hand kauen. Am Schluss hatte Amarena sich doch schon gut unterworfen und hatte meine Hilfen weitgehend angenommen, aber ich wusste schon was ich als nächstes Training mit ihr machen würde: ein Join-up. Diese Methode hatte ich in den USA gelernt und es war extrem vertrauensbildend das zu tun.
Ich stieg ab und löste den Sattelgurt und auch den Kehlriemen ein wenig. Dann klopfte ich der Stute den Hals. „Hast du gut gemacht... und alles andere kriegen wir auch noch hin...“
ich führte die Stute in ihre Box und sattelte und trenste sie ab. Dann deckte ich Sie mit einer Abschwitzdecke zu und kraulte sie zum Abschluss noch ein bisschen. Ich drückte ihr einen Kuss auf den Stern auf und gerade als ich die Box schloss kam ein Pfleger auf mich zu. „Sie sind neu hier oder?“ Ich nickte. „Ich bin Alex, ich bin hier Pferdepfleger.“ meinte er freundlich und schüttelte mir die Hand. „Lena.“ sagte ich ebenso freundlich. „Ich hab ein Problem...“ sagte er dann. „Die Reitbeteiligung von Cosplay Boy war schon eine ganze Weile nicht mehr da und er ist schon lange nicht mehr bewegt worden. Und jetzt wollte ich fragen ob du ihn heute vielleicht bewegen könntest, ich komm einfach nicht dazu.“ Er sah aus, als wäre ihm die Situation äußerst unangenehm. „Geputzt ist er schon, und ich kann ihn auch satteln, wenn du willst...“ fügte er dann hastig hinzu. „Ach quatsch, zeig ihn mir einfach. Ich mach das. Mach dir da keinen Stress.“ Und schon bedankte sich Daniel überschwänglich. „Das ist doch kein Ding, mach ich gerne...“ Und schon folgte ich dem, schon etwas älteren Bruder, in den Hengststall. „Das ist Cosplay Boy...“ meinte er dann und verabschiedete sich dann aber auch schon.
Es musste schon lange her sein, dass man ihn regelmäßig bewegt hatte, denn der Hengst war schon etwas dick. „Na Dicker...“ meinte ich an ihn gewandt und streichelte ihm kurz über die Nüstern. „Wir zwei machen einen schönen Ausritt.“ fügte ich dann hinzu und machte mich auf die Suche nach seinem Sattel und seinem Zaum. Nach kurzer Zeit kam ich zum Pferd zurück und machte ihn zum Reiten fertig.
Man konnte schon fast spüren, dass der Hengst rennen wollte. Ich zog den Sattelgurt nochmals an und setzte mich dann drauf.
Der Hengst wollte schon los rennen, aber ich bremste ihn mit den Zügeln. „Immer langsam mit den jungen Pferden...“ meinte ich an ihn gewandt und klopfte ihm den Hals. Wir ritten eine Zeit lang im Schritt und fanden eine herrliche Galoppstrecke, die ich natürlich sofort ausprobieren wollte. Der Hengst genoss es in vollen Zügen und wir galoppierten einige Minuten lang, und sprangen sogar über einige kleine Hindernisse. Man merkte, dass Cosplay Boy sich schon lange nicht mehr ausgepowert hatte und darum ließ ich ihn ein wenig das Tempo bestimmen. Nach diesem ausgiebigen, langen Ritt kamen wir dann wieder auf dem Hof an, wo Alex schon auf uns wartete. „Ich sattel ihn dir ab und bring ihn auf die Weide.“ bot er sich an und ich nickte. „Das ist ein tolles Pferd!“ sagte ich zu ihm und kletterte aus dem Sattel. „Wenn du wieder einmal Hilfe brauchst, meld dich einfach. Ich mach das gerne.“ Ich übergab ihm die Zügel und er bedankte sich nochmals herzlich.
Jetzt musste ich aber wirklich nach Hause. Ohne mich umzuziehen lief den kurzen Fußweg nach Hause. Als ich in die Wohnung kam, war ich schon beeindruckt. Sebastian, mein Bruder, hatte fast alle Möbel aufgebaut. Ich schlüpfte aus den Reitsstiefeln und begann dann alles einzuräumen. Wenn wir in diesem Tempo weitermachten, dann wäre der Umzug schnell geschafft, und mein Bruder konnte wieder nach Hause fahren. Da die Küche noch nicht funktionierte, gingen wir am Abend essen und danach fiel ich todmüde ins Bett. Aber es war die richtige Entscheidung gewesen, hier her zu kommen.